Die Schwierigkeit, Wut zu empfinden 

Es gäbe allen Grund, wütend zu sein – und doch fällt es mir schwer, Wut zu fühlen.
Nicht die schnelle, alltägliche Wut über einen geplatzten Termin oder ein misslungenes Foto. Sondern die existenzielle Wut, von der
Tara-Louise Wittwer in Nemesis Töchter spricht: female rage – diese uralte, unterdrückte, verschüttete Kraft, die nicht aus Hass entsteht, sondern aus Erfahrung.
Vielleicht wurde sie mir, wie so vielen Frauen, abtrainiert. Statt Wut zu spüren, habe ich gelernt zu erklären, zu verstehen, zu beschwichtigen. Und wenn die Wut doch in mir anklopft, meldet sich sofort eine andere Stimme: Du machst etwas falsch. Du bist das Problem.

Nebel statt Klarheit

So war es auch neulich. Ich saß in einem Gespräch, in dem es um meine Arbeit als Fotografin ging. Ich hatte gehofft, auf Interesse zu stoßen. Stattdessen erlebte ich Nebel: kein klares Nein, kein offenes Wort, nur ein Ausweichen, ein Lavieren. Und als ich um Klarheit bat, wurde das Gespräch so verdreht, als sei genau diese Bitte der Grund für die Ablehnung. Nicht er, der kein Nein aussprechen konnte, sondern ich, die nach Klarheit fragte, sollte schuld sein.
Es war entwürdigend.
Nicht das Nein tat weh, sondern das Nicht-Nein-Können.
Das Spiel, das mich in den Nebel zog und mir die Würde nahm. Da wurde mir bewusst, wie tief dieses Muster reicht:

  • Frauen, die Klarheit einfordern, gelten als unbequem.
  • Frauen, die Haltung zeigen, werden zu viel.
  • Frauen, die Wut empfinden, sind falsch.

Und genau das beschreibt Tara-Louise Wittwer: dass unsere female rage jahrhundertelang pathologisiert wurde – als Hysterie, als Makel, als Gefahr. Kein Wunder, dass sie so schwer zugänglich ist.

Ein persönlicher Zugang

Und doch kenne ich sie. Ich schreibe darüber in meinem Buch, sehr persönlich, ohne mich zu schonen. Denn heute weiß ich, dass ich diese Wut in einem Traum gespürt habe: eine Kraft, die nicht zerstört, sondern befreit. Eine Wut, die nicht auf Rache zielt, sondern auf Wahrheit. Ohne Schuld, ohne Scham – nur Klarheit.

Mein feministisch geprägter Anspruch ist untrennbar mit meinem Werk verbunden. Er macht meine Fotografien aus, er prägt mein Schreiben. Wer das nicht aushält, ist nicht mein Gegenüber. Und schon wieder erlebe ich, dass nicht anerkannt wird, was ich bin:
Frau. Mutter.Fotografin.
Und dass das für mich eine Einheit ist.

Female rage als Erwachen

Vielleicht ist genau das die Aufgabe: diese Wut nicht länger fürchten, sondern sie als Ressource anerkennen. Denn sie ist nicht das Problem. Das Problem ist das System, das uns lehrt, sie zu unterdrücken. 

Female rage ist kein Ausbruch. Sie ist ein Erwachen.

Vielleicht ist genau das die Aufgabe: diese Wut nicht länger fürchten, sondern sie als Ressource anerkennen. Denn sie ist nicht das Problem. Das Problem ist das System, das uns lehrt, sie zu unterdrücken.

Und ich frage mich:
Wie geht ihr mit eurer Wut um?
Wann habt ihr sie gespürt – vielleicht heimlich, vielleicht im Traum, vielleicht im Alltag – und was hat sie mit euch gemacht?

Female rage ist kein Ausbruch. Sie ist ein Erwachen.

Um dieses Buch geht es —->

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