Ich bin heute 75 Jahre alt.


Ich liebe es, allein zu leben.

Ich liebe die Stille vor dem Frühstück, wenn nur die Kamera und ich wach sind.
Ich liebe es, an meinen Schreibtisch zu gehen, sobald ein Gedanke Form annimmt.
Ich liebe es, spontan in eine Ausstellung zu gehen, ohne Absprache, ohne Rücksicht, ohne Erklärung.

Und doch liegt über dieser Selbstverständlichkeit ein kultureller Schatten: das Dogma der Zweisamkeit. Die hartnäckige Idee, dass Alleinsein gleich Einsamkeit bedeutet.

Ein Mythos.
Tief verwurzelt, historisch gewachsen.
Längst überfällig, infrage gestellt zu werden.

Vor kurzem stieß ich auf einen Essay von Chanté Joseph.
Darin beschreibt sie einen neuen Trend: Frauen zeigen ihre Beziehungen öffentlich immer seltener.
Nicht, weil sie keine hätten, sondern weil es plötzlich peinlich wirken kann, einen Freund zu inszenieren.

Der Mann erscheint nur noch am Bildrand: ein Arm, eine Hand am Lenkrad.
Ein Fragment. Er soll existieren, aber nicht definieren.
Beziehungen werden zu Bildern, Bilder zu Beweisen, Beweise zu Währung.

Ich musste lachen.

Ich brauche kein Symbolfoto, das meine Daseinsberechtigung beglaubigt.
Ich muss niemanden aus dem Bild schneiden, um frei zu sein.
Ich bin das Zentrum meines eigenen Bildes.

Für mich ist das Alleinsein eine Quelle.
Von Klarheit.
Von Kraft.
Von innerer Freiheit.

Ich lebe allein.
Nicht, weil niemand bleibt.
Sondern weil ich bleibe.

Alleinsein ist keine Lücke.
Es ist Raum.

Ich bin nicht „ohne jemanden“.
Ich bin mit mir.

Mein Lebensentwurf braucht keine Rechtfertigung.
Er ist kein Plan B.
Er ist ein Happy End, das nicht auf dem Sofa eines anderen stattfindet, sondern in meinem Inneren.

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