Warum „Fotografin“ mehr ist als ein Algorithmus-Post
Die Fotografie ist demokratisch geworden.
Ein Smartphone genügt, ein Klick, und schon hat jede*r Zugang zu einer Bühne, zu Sichtbarkeit, zu Reichweite. Daran ist nichts falsch. Im Gegenteil: Es ist ein Gewinn, dass Menschen ihre Perspektiven zeigen können.
Doch aus dieser Demokratisierung erwächst eine neue Verwechslung.
Sie lautet: Wenn ich fotografiere, bin ich Fotografin.
Und sie bekommt Rückenwind durch Sätze wie diesen, die auf Social Media kursieren:
„Du musst nicht fotografieren können, um dich Fotograf:in zu nennen. Du brauchst keine Ausbildung. Nicht einmal eine Kamera.“
Das klingt befreiend, aber in Wahrheit ist es algorithmische Ermächtigung.
Sie verteilt Likes, nicht Haltung. Sie baut Identität auf Klickbasis: „Ich fühle mich so, also bin ich es.“
Aber: Identität ist nicht gleich Profession.
- Identität: Ich fühle mich als Fotografin. Legitimes Empfinden.
- Rolle: Ich fotografiere im Freundeskreis, in meiner Community. Sinnvoll, verbindend.
- Titel: „Fotografin“ – ein kulturell aufgeladenes Wort, das Geschichte, Handwerk und Erwartung in sich trägt.
- Markt: Ich biete Fotografie gegen Geld an, übernehme Verantwortung, liefere unter Druck verlässlich Ergebnisse.
Social Media verwischt diese Ebenen.
Was als Selbstgefühl beginnt, wird zum Titel erklärt – und der Titel zum Marktanspruch. Likes ersetzen Erfahrung. Hashtags ersetzen Archiv. Beliebigkeit ersetzt Professionalität. Ich habe nichts gegen das Spielen. Wer experimentiert, lernt.
Ich habe alles gegen Dilettant*innen, die ihre ersten Versuche für Gleichrangigkeit ausgeben und damit Begriffe aushöhlen, die andere ein Leben lang gefüllt haben.
„Fotografin“ ist kein morgendliches Etikett, das man sich anklebt.
Es ist eine Haltung. Eine, die Verantwortung trägt: für Menschenwürde, für Rechte, für Kontexte, für Archive. Eine, die nicht auf den Glückstreffer setzt, sondern auf Wiederholbarkeit und Konsequenz.
Gerade im Zeitalter von KI-Bildern ist dieser Unterschied entscheidend. Technik kann alles simulieren: Schärfe, Licht, Komposition.
Was sie nicht liefern kann, ist Haltung. Und ohne Haltung verkommt die Fotografie zur bloßen Bildproduktion.
Darum sage ich: Demokratisierung ist gut.
Aber wenn sie Professionalität unsichtbar macht, wenn sie Titel entleert und Beliebigkeit belohnt, dann wird sie zur Farce.
Worte wie ›Fotografin‹ tragen Geschichte.
Es geht mir nicht um Rechtfertigung – es geht darum, Haltung sichtbar zu machen.
Und ich lasse nicht zu, dass dieses Wort im Algorithmus verdampft.