Am Morgen ist es oft so: Eine Melodie sitzt in meinem Kopf, hellwach, eindringlich. Die Melodie ist klar, der Rhythmus vertraut. Doch der nächste Satz bleibt verschwommen, der Text entgleitet mir. Ich weiß, dass ich es weiß. Aber ich komme nicht hin. Der Zugriff hakt. Dabei habe ich diese morgendlichen Melodien immer als Kommunikationsversuch meiner Seele/meines Unterbewussten empfunden, als wichtige Hinweise, mit denen ich arbeiten die ich reflektieren konnte.
Nun ist es so, als wollte ich eine Schublade öffnen, und sie klemmt. Dahinter liegt alles bereit – und doch bleibe ich ausgesperrt.
Seit meiner Gehirnerschütterung im März erlebe ich diese Momente häufiger. Namen, Jahreszahlen, Liedtexte – sie rutschen weg, als hätte mein Gehirn die Tür zum Archiv verschlossen. Ich weiß, dass die Dinge da sind. Aber der Schlüssel fehlt.
Am letzten Sonntag, bei der Ausstellungseröffnung im Stadtmuseum, wurde dieses Erleben plötzlich radikal: Ich stand Menschen gegenüber, die ich kannte – und erkannte sie nicht. Kein Gesicht, kein Kontext, nichts. Früher war das meine Stärke: Menschen sofort wiederzuerkennen, dazu die Erinnerung, wann und wo wir uns begegnet waren.
Und da: alles weg. Für einen Moment hat mich das zutiefst erschreckt.
Und doch: Nicht alles ist blockiert. Wenn ich an meiner Autobiografie schreibe, öffnen sich die Türen. Szenen, Orte, Atmosphären steigen klar und lebendig auf. Das assoziative Erinnern funktioniert, als ginge ich durch einen anderen Eingang. Schreiben ist ein Umweg – aber wenigstens ein Umweg, der funktioniert. Vielleicht ist genau das die Wahrheit: Erinnerung ist kein stabiler Speicher, sondern ein fragiles Geflecht. Manchmal bricht der direkte Weg weg, und wir stolpern. Dann bleibt uns nichts anderes, als Seitenwege zu suchen.
Am Morgen, wenn mir eine Melodie zufliegt ohne Worte, spüre ich beides: den Verlust und den Trost. Ich höre sie wie ein Signal – mein Gehirn arbeitet, aber anders als früher. Und während ich noch um Fassung ringe, höre ich zwischen den Tönen fast eine Stimme: „Schau, ich halte dich. Auch wenn der Zugriff hakt.“