Es beginnt nie mit dem großen Eklat. Es beginnt mit einem Blick, einem abwertenden Tonfall, einem „Beruhigen Sie sich mal“.

Grenzen zu setzen – sollte eigentlich einfach sein. Doch für viele Frauen ist es ein Risiko. Nicht das Risiko, unhöflich zu wirken. Sondern das Risiko, plötzlich zum Objekt gemacht zu werden. Objekt bedeutet: nicht Subjekt des eigenen Erlebens zu sein, sondern Gegenstand einer Bewertung – eine Figur in dem Narrativ anderer.

Die Szene:

Eine enge Straße. Ein Auto, das mir entgegenkommt, obwohl ich bereits in der Engstelle bin.
Er bleibt stehen. Blockiert. Er fordert mich auf, zurückzusetzen.

Kein Austausch.
Keine gegenseitige Rücksicht.
Nur Anspruch.

Ich spüre etwas in mir: eine Mischung aus Unverständnis und Bedrohung. Ich gehe aus der Situation, weil mein Körper sagt: „Hier stimmt etwas nicht.“  Doch dann erscheint Autorität – in Uniform. Und ich werde nicht gefragt, sondern beurteilt. „Sie müssen erst mal runterkommen.“ Noch bevor ich was sagen kann. In diesem Moment wird aus einem Menschen mit einer Wahrnehmung ein Objekt mit einem Etikett. Objektstatus entsteht, wenn …

  • die Wahrnehmung nicht ernst genommen wird,
  • Erfahrungen relativiert werden,
  • Kontext ignoriert wird,
  • Autorität, sich selbst genügt.

Frauen lernen früh, dass Grenzen irritieren. Frauen lernen früh, dass Grenzen als Angriff gelesen werden. Wer „Nein“ sagt, riskiert Eskalation. Wer „Ich habe Angst“ sagt, riskiert, lächerlich gemacht zu werden.

Die soziale Grammatik, die dahinterliegt:

Die unsichtbare Grammatik lautet: Männer handeln, Frauen übertreiben. Ein Mann, der Platz einfordert, ist entschlossen. Eine Frau, die Schutz einfordert, ist hysterisch. Es ist erstaunlich, wie stabil diese Grammatik ist, selbst in Räumen, die eigentlich Schutz versprechen sollten. An Orten, an denen Neutralität gilt, gewinnt plötzlich das alte Narrativ: Das Falschherum der Macht. Der andere Fahrer erfindet eine Beschuldigung. Er sitzt im Auto, kann nicht einmal sehen, was er behauptet. Es spielt keine Rolle. Du sagst, du fühlst dich bedroht. Du warst die bereits Eingeklemmte. Es spielt keine Rolle. Dein Wort wird nicht zum Fakt. Es wird zur Emotion.

Sein Wort wird Fakt. Deines wird Stimmung. Wenn Frauen Grenzen setzen: Grenzen markieren ein „Bis hierhin und nicht weiter.“ Bei Männern wird dieses „Nicht weiter“ anerkannt. Bei Frauen wird es interpretiert.
Als Überempfindlichkeit.
Als Problem.
Als Provokation.

Grenzen setzen löst Abwertung aus. Aus Subjekt wird Objekt.

Was dabei zerstört wird, ist nicht der Moment, sondern der Glaube an die eigene Wahrnehmung. Gaslighting beginnt nicht zwischen Partnern, es beginnt gesellschaftlich: „Das war doch gar nicht so.“
„Beruhigen Sie sich mal.“
„Männer machen sowas nicht.“

Diese Sätze sind keine Beruhigung. Es sind Formen der Entmachtung.

Was dagegen hilft: Sprache + Sichtbarkeit

Sprache verwandelt Ohnmacht in Handlung. Sichtbarkeit verwandelt Objektstatus in Subjektstatus. Ich habe die Grenze erneut gesetzt: in Worten, schwarz auf weiß, in einer Beschwerde. Nicht, um „Recht zu bekommen“. Sondern, um mir selbst zu glauben

In dem Moment, in dem eine Frau eine Grenze setzt, zeigt sich, wie eine Gesellschaft Frauen sieht. Nicht, wenn sie schweigt. Sondern, wenn sie widerspricht. Grenzen sind kein Angriff.
Grenzen sind Selbstschutz.

 

Und es ist Zeit, dass sie als solche erkannt werden.

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