Unsichtbarkeit ist kein Zufall.

Vor wenigen Tagen erhielt ich eine E-Mail der Stadt Düsseldorf. Betreff: Teilnahme an der Paris Photo 2025. Düsseldorf präsentiert sich dort als „Fotostadt“, als Ort fotografischer Innovation, als Hüter eines Erbes. Ich lese Sätze wie:

„Als zukünftiger Sitz des Deutschen Fotoinstituts trägt Düsseldorf eine besondere Verantwortung, den internationalen Dialog zwischen Vergangenheit und Zukunft der Fotografie aktiv mitzugestalten.“

Vergangenheit. Zukunft. Verantwortung. Erbe.
Große Wörter.
Wichtige Wörter.
Wörter, die einen Raum aufspannen.

Ich halte die Mail in der Hand und denke:
Wenn von Erbe gesprochen wird – wo ist der Raum für diejenigen, die dieses Erbe geschaffen haben?

Erbe existiert nicht abstrakt.

Erbe hat Körper und Hände.

Mein fotografisches Archiv beginnt 1964.
Mehrere hundert Filme.
Kontaktbögen. Negative. Handschriftliche Notizen.
Ein dokumentiertes Leben in Bildern – Frauen, Arbeit, Städte, Körper, Mutterschaft, Politik, Krankheit, Überleben.

Nichts daran ist Theorie. Es ist gelebte Geschichte.
Dieses Archiv ist nicht nur mein persönliches Gedächtnis.
Es ist Teil des fotografischen Gedächtnisses dieser Stadt.
Denn Erbe ist nicht das, worüber geschrieben wird. Erbe ist das, was jemand getan, festgehalten, durchgearbeitet hat.

Ich frage mich:
Wie kann eine Stadt von „Erbe“ sprechen, ohne sich zuerst den Erb:innen zuzuwenden?

Unsichtbarkeit ist kein Zufall

Unsichtbarkeit entsteht nicht aus einem Versehen. Sie entsteht durch Auswahl.
Wer spricht?
Wer zeigt?
Wer kuratiert?
Wer lässt zu?

Unsichtbarkeit ist ein kultureller Akt.

Und bei Frauen – besonders bei Frauen mit gelebter Geschichte – ist Unsichtbarkeit oft ein Muster:

  • zuerst ignoriert,
  • dann übersehen,
  • schließlich „nicht vorgesehen“.

Unsichtbarkeit ist eine Struktur.
Eine Denkform.
Sie arbeitet mit der Annahme: Was nicht genannt wird, existiert nicht.
Ich benenne das nicht, weil ich beklage.
Ich benenne es, weil ich existiere.

Ich brauche keine Erwähnung auf einer Liste.
Ich brauche keine Einladung in eine fertige Erzählung.
Ich brauche Raum, in dem mein Werk sichtbar sein kann:

  • Raum für mein Archiv
  • Raum für Forschung
  • Raum für Übergabe
  • Raum für zukünftige Sichtbarkeit

Raum ist nicht „Platz“.
Raum ist Möglichkeit.

Wenn die Stadt Düsseldorf von Erbe spricht, wenn sie Verantwortung reklamiert, wenn sie sich in Paris als „Fotostadt“ inszeniert, dann stelle ich eine einfache Frage: Was geschieht mit den fotografischen Nachlässen derjenigen, die dieses Erbe geschaffen haben?

Meiner ist nicht virtuell.
Er liegt in Kisten.
In Hüllen.
In Ordnungssystemen.
Er hat Gewicht.

Er ist Materie.

Er ist Tatsache.

Wie geht eine Stadt, die Verantwortung für Vergangenheit übernimmt, mit einem realen Erbe um?

Meine Geschichte ist nicht Theorie

Ich wartete nicht darauf, entdeckt zu werden. Ich habe gearbeitet.
Ich fotografierte nicht, um zu behalten.
Ich fotografierte, um zu verstehen.

Und jetzt, nach sechzig Jahren Fotografie, nach einer Autobiografie, nach der systematischen Ordnung meines Archivs, stehe ich an einem Punkt, an dem sich eine Frage stellt: Wenn Düsseldorf „Erbe“ sagt – wo ist der Raum für meines?

Ich erwarte keine Bühne.
Ich erwarte eine Antwort.

 

Denn wer Erbe in den Mund nimmt, übernimmt Verantwortung für das, was bereits existiert.

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