Es gibt Themen, die mich seit Jahren nicht loslassen. Eines davon ist die Frage, wie veröffentlichte Fotografien unsere Sehgewohnheiten formen – und wie sie bestimmen, was wir für weiblich, stark oder begehrenswert halten sollen.
Neulich, beim Scrollen durch Instagram, traf mich das wieder mit ungeahnter Wucht. Mein Körper reagiert anders:
Ich spüre Unbehagen.
Bedauern.
Widerstand.
Was mir ins Auge fällt, sind Fotografien, die angeblich Frauen „empowern“ sollen. Nicht, weil sich Frauen präsentieren – das ist nicht der Grund. Sondern weil sich in diesen Fotografien etwas wiederholt, das ich seit Jahrzehnten kenne:
Alte Sehgewohnheiten, neu gestylt, algorithmisch optimiert, als Befreiung etikettiert.
Es sind keine freien Gesten.
Es sind erlernte Posen.
Ein ästhetisches Korsett, das so tut, als sei es ein offenes Fenster.
In mir regt sich dabei kein Gefühl von Stärke, sondern ein leises, hartnäckiges Unbehagen. Ich ertappe mich bei Worten, die ich selbst nicht gern denke – und wünsche mir doch Fotografien, die wirklich etwas verändern. Viele dieser sogenannten Empowerment-Fotos passen perfekt in die Logik von Clickbait:
Sie locken, sie schreien, sie wünschen etwas auszulösen – Likes, Aufmerksamkeit, schnelle Emotion.
Sie funktionieren wie reißerische Überschriften. Sie verkaufen Intensität dort, wo eigentlich Beziehung nötig wäre. Ein Körper wird zur Meldung, nicht zur Begegnung.
Und da beginnt der innere Konflikt. Denn diese Fotos folgen keinem neuen Blick. Sie reproduzieren nur, was wir seit Jahrzehnten gelernt haben:
wie Frauen auszusehen haben,
wie sie ihren Körper halten sollen,
welche Pose als „selbstbewusst“ gilt,
welcher Grad an Entblößung als „befreiend“ verkauft wird.
Das ist kein Empowerment. Das ist Stiltraining. Ein ästhetisches Korsett, das sich als Freiheit verkleidet.
Ich kenne das stille Gebot, andere Frauen bedingungslos zu unterstützen – geboren aus Jahrzehnten der Abwertung und Missachtung. Ich trage dieses Gebot in mir. Ich achte es. Doch es kann zum Käfig werden. Denn es zwingt mich manchmal, Fotografien gutzuheißen, die mich tief irritieren. Fotos, die nicht stärken, sondern dressieren. Fotos, die Freiheit behaupten, aber einem Blick folgen, der nicht der eigene ist. Fotos, die Frauen zu Content machen – ästhetisch kontrolliert, emotional verkürzt, perfekt für die Plattform, aber nicht für die Frau. Ich kann diese Art Fotografie nicht unterstützen.
Nicht aus Abwehr, nicht aus Distanz zu Frauen, nicht aus Misstrauen gegenüber Empowerment. Sondern weil ich die Mechanismen zu gut kenne. Ich erkenne die Regie unsichtbarer Erwartungen. Ich erkenne die gelernte und gewählte Pose. Ich erkenne die Geste, die gefallen will, statt zu befreien.
Ich erkenne die Clickbait-Logik, die Körper und Gefühle zu verwertbaren Einheiten zerlegt.
Es sind keine freien Gesten. Es sind erlernte Posen.
Was sich hier als Selbstbestimmung tarnt, ist nichts anderes als die erneuerte Maske alter Dressuren – glänzend poliert, algorithmisch verstärkt, doch dem gleichen Blick verpflichtet wie eh und je.
Meine eigene fotografische Praxis war immer eine andere. Ich habe Frauen portraitiert – nicht instrumentalisiert. Ich habe Körper ernst genommen, nicht eingesetzt.
Ich habe Würde gesucht, nicht Effekte.
Ich habe Begegnung gesucht, nicht Verwertung.
Ich habe Räume geöffnet, in denen eine Frau nicht funktionieren muss, sondern da sein darf.
Darum fällt es mir so schwer, diese neue Welle des angeblichen Empowerments zu feiern. Denn vieles daran ist keine Befreiung von der Sehgewohnheit, sondern deren Perfektionierung. Und während ich diese Fotos betrachte, kommt eine weitere Ebene hinzu, etwas, das den Raum der Fotografie in den letzten zwei Jahren grundlegend verschoben hat: KI-generierte Frauenbilder.
Denn das, was früher Pose war, ist heute Simulation. Das, was früher ein eintrainierter Blick war, ist heute ein algorithmisch erzeugter Körper. Ein perfekter Körper, der nie gelebt hat. Eine Geste, die nie aus einem Inneren kam. Eine Freiheit, die nur berechnet wurde.
Diese KI-Bilder sind keine Dressur von Frauen mehr, sondern Dressur für einen algorithmischen Blick, der Frauenbilder erzeugt, ohne dass auch nur eine Frau anwesend war. Das ist die ultimative Entkörperlichung: Die Pose ohne Person. Die Geste ohne Geschichte. Das Empowerment als reines Datengeflimmer.
Und genau deshalb müssen wir uns fragen: Warum fotografieren wir überhaupt?
Nicht „wie“, nicht „womit“, nicht „für wen“, sondern: Warum?
Warum halte ich eine Kamera in der Hand?
Warum begegne ich einem Menschen im Raum?
Warum entsteht ein Bild überhaupt?
In einer Zeit, in der jedes Gesicht, jeder Körper, jede Pose synthetisch erzeugt werden kann, gewinnt die Frage nach dem Motiv, nach der inneren Bewegung hinter einer Fotografie, eine Dringlichkeit, die es so noch nie gab. Wenn ein KI-System jederzeit „eine starke, selbstbewusste Frau“ generieren kann, dann reicht es nicht mehr, Stärke zu inszenieren. Dann muss Fotografie wieder zeigen, dass jemand da war. Dass jemand sich gezeigt hat. Dass jemand ein Risiko eingegangen ist, ein Öffnen, eine Begegnung.
Das Warum ist der Unterschied zwischen Bild und Abbild.
Zwischen Pose und Person.
Zwischen Dressur und Freiheit.
Vielleicht ist das die neue Aufgabe der Fotografie: nicht besser zu gefallen als KI, nicht perfekter zu sein, nicht lauter, sondern wahrhaftiger.
Eine Fotografie, die etwas will. Die etwas meint. Die etwas zeigt, das sich nicht generieren lässt: die gelebte Spur eines Körpers, die Unsicherheit eines Blicks, die Geschichte einer Frau, die sich nicht nur darstellen lässt, sondern selbst anwesend ist.
KI kann Bilder erzeugen.
Aber sie kann keine Beziehung abbilden.
Keine Würde.
Keine innere Bewegung.
Keine Freiheit.
Und deshalb glaube ich: Gerade jetzt muss das Warum der Fotografie wieder sichtbar werden. Sonst bleibt nur die Perfektion der Simulation, und der Verlust des Menschlichen darin.
Solidarität bedeutet für mich nicht, jede Fotografie zu loben, die vorgibt, Frauen zu stärken.
Solidarität bedeutet, ehrlich zu bleiben.
Auch dort, wo es unbequem ist.
Ich unterstütze Frauen.
Aber ich unterstütze nicht jede Fotografie, die vorgibt, ihnen zu dienen.
Schon gar nicht jene, die nur den Blick füttert, der seit Jahrzehnten bestimmt, was weibliche Stärke angeblich ausmacht.