2025 – ein Jahr der Zäsur
Ja, das war es dieses 2025.
Ich habe entschieden, nicht mehr als Dienstleisterin zu arbeiten. Und ich habe begonnen, nach dem roten Faden in meinem Lebenswerk zu suchen. Beides hängt zusammen.
Die Entscheidung
Dienstleisterin zu sein bedeutet, verfügbar zu sein. Zu reagieren. Zu liefern. Erwartungen zu erfüllen. Ich habe gemerkt, dass diese Rolle nicht mehr zu mir passt. Nicht zu meinem Alter. Nicht zu meiner Erfahrung. Und nicht zu dem, was ich heute unter Verantwortung verstehe. Ich wollte nicht länger arbeiten, um Anforderungen zu bedienen. Ich wollte arbeiten, um zu verstehen, was ich getan habe – und warum.
Diese Entscheidung war keine Geste. Sie war eine Grenze.
Was bleibt
Mit dieser Grenze kam eine andere Frage: Was bleibt von einem Leben, das über sechzig Jahre von Fotografien begleitet war?
Nicht einzelne Erfolge.
Nicht Aufträge.
Nicht Sichtbarkeit im Moment.
Was bleibt, ist ein Werk. Und dieses Werk verlangt Aufmerksamkeit. Ich habe begonnen, mich dem zuzuwenden, was ich hinterlasse: meinen Fotografien, meinen Serien, meinen Entscheidungen, meinen Brüchen. Nicht als Nachlassverwaltung, sondern als Denkbewegung. Ich wollte nicht sammeln – ich wollte lesen, was da ist.
Der rote Faden
Der rote Faden ist nichts, was man einfach findet. Er zeigt sich nur, wenn man lange genug hinsieht. Beim Arbeiten am Archiv, beim Ordnen von Negativen, Kontaktbögen, Prints wurde mir klar: Meine Arbeiten stehen nicht nebeneinander. Sie sprechen miteinander. Über Jahrzehnte hinweg. Über Themen, Haltungen, Fragen, die mich getragen haben, oft ohne dass ich sie benennen konnte. Ich habe begonnen, diesen Zusammenhang ernst zu nehmen. Nicht erklärend, nicht glättend – sondern suchend. Das Werkverzeichnis ist für mich kein Ordnungssystem. Es ist ein Erkenntnisraum.
Das Buch
In diesem Jahr ist auch mein Buch erschienen: Frau. Mutter. Fotografin.
Es ist Teil dieser Bewegung. Ich habe geschrieben, um zu verstehen. Nicht um abzuschließen, sondern um Zusammenhänge sichtbar zu machen – zwischen Leben, Arbeit, Haltung. Entscheidend war nicht die Veröffentlichung, sondern dass ich mir selbst erlaubt habe, diese Geschichte zu erzählen. In meiner Sprache. In meinem Rhythmus.
Ich habe mir geglaubt.
2025 war ein Jahr der Sichtbarkeit. Lesungen. Gespräche. Videos. Resonanz.
Der Unterschied zu früher: Ich habe mich nicht gezeigt, um etwas anzubieten. Ich habe mich gezeigt, weil ich etwas zu sagen habe. Ich bin geblieben, auch wenn es anstrengend wurde. Auch wenn mein Körper Grenzen gesetzt hat. Auch wenn nicht alles leicht war.
Mein Körper hat in diesem Jahr deutlich mitgesprochen.
Infekt, Erschöpfung, Stabilisierung, Kraft. Treppen, die wieder möglich wurden. Ich beginne zu verstehen, dass mein Körper kein Werkzeug ist. Er ist ein Mitautor. Einer, der mir sagt, wann etwas trägt – und wann nicht mehr. Ich höre genauer hin. Nicht romantisch. Sondern verantwortungsvoll.
2025 hat mir keine einfachen Lösungen gebracht. Aber Klarheit.
Ich habe aufgehört, an Stellen zu bleiben, an denen nichts mehr antwortet. Nicht aus Härte, sondern aus Selbstachtung. Auch das gehört zu dem, was bleibt: zu wissen, wo man nicht mehr investieren muss.
Rückblick
Wenn ich 2025 auf einen Satz verdichten müsste, dann diesen: Ich habe begonnen, mich um das zu kümmern, was bleibt. Und dafür musste ich aufhören, mich als Dienstleisterin zu verstehen.
Nicht laut.
Nicht triumphal.
Sondern so, wie man etwas Schweres ablegt und merkt: Die Hände zittern noch – aber der Rücken ist frei.
2026 fühlt sich nicht wie ein Neubeginn an.
Eher wie ein Weitergehen.
Mit Haltung.
Mit Erfahrung.
Mit einem roten Faden, der sichtbar wird, während man ihm folgt.
Silvester
von Joachim Ringelnatz
Dass bald das neue Jahr beginnt,
spür ich nicht im geringsten.
Ich merke nur: die Zeit verrinnt
genauso wie zu Pfingsten.
Die Zeit verrinnt, die Spinne spinnt
in heimlichen Geweben.
Wenn heute Nacht ein Jahr beginnt,
beginnt ein neues Leben.