Wie Sichtbarkeit zur politischen Sprache wird

Sprache war nie neutral. Sie ist nicht einfach Beschreibung. Sprache formt Realität und beeinflusst, wie wir uns und die Welt wahrnehmen. Sie ist Entscheidung, Regel, Ordnung.
Wenn ich heute mit Doppelpunkten schreibe, dann tue ich das nicht aus modischer Gesinnung. Ich tue es, weil ich weiß, was es heißt, nicht angesprochen zu werden. Nicht gemeint zu sein. Unsichtbar gemacht zu werden durch Worte, die behaupten, „alle“ zu umfassen, und dabei nur einen meint: den Mann.

Diese kleine sprachliche Veränderung zugunsten weiblicher Sichtbarkeit polarisiert. Wenn Ministerien, Schulen, Universitäten das Gendern untersagen – und das ausgerechnet mit dem Anspruch auf „Klarheit“ –, dann ist das kein sprachlicher Purismus. Es ist eine Machtdemonstration.

Ich habe mein Leben lang darum gekämpft, mich auch sprachlich zu verorten.

Als Frau.
Als Mutter.
Als Fotografin.
Als Legasthenikerin.

Als jemand, deren Wahrnehmung oft zu viel, zu genau, zu durchlässig war. Ich habe früh verstanden: Sprache ist nicht inklusiv. Sie lässt sich ein, aber sie lässt auch aus. Was nicht gesagt werden darf, darf auch nicht gedacht werden. Und was aus der Sprache verschwindet, verschwindet auch aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung. Ich beobachte diesen Rückschritt mit Zorn. Weil ich weiß, wie es sich anfühlt, nicht gemeint zu sein.

Ich erinnere mich an mein Studium. An meine Begegnung mit Jacques Lacan. Seine Texte waren scharf, überladen, gefährlich. Aber inmitten dieser Theoriegebäude ein Satz, der mich nicht mehr losließ:
La femme n’existe pas. Die Frau existiert nicht.
Nicht in der symbolischen Ordnung, die Sprache vorgibt. Nicht als Subjekt. Nur als das Andere. Als Spiegel des Begehrens. Als Mangel.

Die Sprache, in die wir hineingeboren werden, bildet uns nicht ab. Beispiel Mutterschaft: Frauen „kriegen“ Kinder und Männer „machen“ sie. Das generische Maskulinum, das vorgibt, beim Wort „Chef“ die „Chefinnen“ mitzumeinen – nein. Unsere Sprache redet weibliche Leistung klein.

Ich habe meine Tochter nicht bekommen. Ich habe sie geboren. Gehalten. Genährt. Getröstet. Ich war nicht passiv. Und doch fiel ich sprachlich zurück in die Kategorie der Empfangenden. Die Muttersprache, die ich mitbekam, war keine Sprache der Mütter. Sie war eine Sprache des Mangels, der Zuschreibungen, der Halbheiten. Doch ich bin da. Ich spreche. Ich schreibe. Ich meine mich.

3.August 2025

Kulturstaatsminister Wolfram Weimer hat die Verwendung gendergerechter Sprache in offiziellen Schreiben seiner Behörde untersagt. Sprache sei „kein Spielfeld für Ideologen“, Gendern sei „bevormundende Spracherziehung“, und es gehe ihm um „unsere Sprachkultur im Land der Dichter und Denker“ sowie um „die Schönheit unserer Sprache“.

Das Verbot des Genderns ist keine Nebensache. Es ist die Fortsetzung der symbolischen Ordnung mit anderen Mitteln. Es ist ein erneuter Ausschluss – diesmal administrativ, staatlich, von oben. Und er trifft jene, die sich gerade erst Raum genommen haben: Frauen, Trans-Personen, nicht-binäre Menschen, alle, die ihre Identität nicht im generischen Maskulinum wiederfinden.

Ich schreibe, weil ich nicht verstummen will. Ich schreibe gegen eine Ordnung, die mich nicht vorgesehen hat. Ich schreibe mich sichtbar. Und vielleicht ist das, was Lacan sagte, nicht falsch, sondern unvollständig: Die Frau existiert nicht – in seiner Sprache. Aber in meiner schon.

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