Ein persönlicher Essay

Ich erinnere mich an die 1970er Jahre – an das Klima des Verdachts, an Berufsverbote, an die Enttäuschung, dass ausgerechnet eine sozialliberale Regierung begann, Gesinnung zur Einstellungsvoraussetzung zu machen. Ich erinnere mich an Menschen, die sich für soziale Gerechtigkeit engagierten – und plötzlich als Gefahr galten. Auch ich spürte dieses Misstrauen, mal offen, mal subtil.

Aber ich erinnere mich auch an eine andere Seite: an Debatten, an Gewerkschaftsversammlungen, an Kämpfe, die geführt – und manchmal gewonnen wurden. Ich war Teil davon. Ich war laut. Ich war sichtbar. Und ich war nicht allein.

Heute, 2025, ist das Klima ein anderes – und doch hallt vieles nach. Ich spüre es in Gesprächen, in Zuschreibungen, in der Angst, sich „politisch zu äußern“. Die AfD steht für eine Politik, die auf Spaltung, Ausschluss und Angst setzt. Und wieder gibt es Stimmen, die sagen: „Ein Parteiverbot? Das hatten wir doch schon mal – damals, mit der KPD.“

Aber das ist nicht dasselbe. Und es ist wichtig, das zu sagen.

Die KPD war eine legale Partei, gegründet mit dem Ziel, soziale Gerechtigkeit zu schaffen. Ihre Nähe zur DDR und zur Sowjetunion war problematisch – ja. Aber ihre Grundidee war nicht die Abschaffung der Menschenrechte, sondern ihre Ausweitung. Sie war Teil eines politischen Diskurses, der sich auf gesellschaftliche Gleichheit berief – auch wenn ihre Mittel infrage standen.

Die AfD hingegen tritt auf mit dem erklärten Ziel, Gruppen auszugrenzen, Minderheiten zu stigmatisieren, den Rechtsstaat auszuhöhlen. Wer das gleichsetzt, verharmlost. Wer nicht unterscheidet, verwischt die Geschichte.

Ich sage das nicht als Historikerin.
Ich sage das als Frau, die gelebt hat, was politische Repression bedeutet – und was sie mit einem Leben machen kann.
Ich sage das als jemand, die erlebt hat, wie aus Worten Maßnahmen wurden. Und wie diese Maßnahmen Biografien zerstörten.

Lange Zeit dachte ich, die AfD würde sich von selbst erledigen. Dass ihre Rhetorik zu plump, ihr Menschenbild zu rückwärtsgewandt sei. Ich habe mich geirrt. Die Realität: Die AfD sitzt in Parlamenten, gestaltet Debatten, unterwandert Diskurse. Ihre Vertreter:innen sagen, was früher undenkbar war – und tun es mit dem Brustton der Selbstverständlichkeit.

Was dagegen hilft? Nicht nur Protest. Nicht nur Argumente.
Sondern: Sichtbarkeit. Haltung. Wiederholung.

Ich habe mit der Kamera dokumentiert, mit der Stimme Stellung bezogen, mit Texten eingegriffen. Und ich werde das weiterhin tun. Auch wenn ich müde bin. Auch wenn der Ton rauer wird. Auch wenn ich nicht weiß, ob es etwas ändert.

Denn Schweigen war nie meine Form.

Was ich meinen Enkelkindern wünsche?
Dass sie eines Tages zurückblicken und sagen können: „Unsere Großmutter hat nicht geschwiegen.“
Dass sie erleben dürfen, was es heißt, in einer offenen Gesellschaft zu leben – und dass sie bereit sind, dafür einzustehen, wenn es darauf ankommt.

Demokratie ist nicht die Abwesenheit von Konflikt.
Sie ist die Kunst, ihn auszutragen – ohne Feinde zu machen.
Aber sie muss sich schützen dürfen.
Auch das habe ich gelernt.

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