Wie ich ja gestern schon geschrieben habe, arbeite ich z. Zt an der Umsetzung vom Manuskript in ein Buch. Es geht um
KOORDINATEN
meine Autobiografie. Mir wird immer bewusster, wie wichtig mir dieses Buch ist. Und dann kommt der Moment, an dem ich es einfach in die Tonne hauen möchte. Klingt schräg – ich weiß, doch so ticke ich. Nachdem ich gestern wichtige Entscheidungen bei der Gestaltung getroffen, und den ganzen Tag vor dem Monitor verbracht hatte, wachte ich heute Morgen mit einem Gedanken auf, so klar und unüberhörbar, dass ich ihn sofort umsetzen musste: Dieses eine Foto ist zu viel.
Kein Frühstück, kein Warten, kein Später – ich musste die Seite sofort verändern.
Dieses Phänomen begleitet mich schon lange. Bereits bei meinem letzten Bildband:
I can make a rhythm of confusion in your mind
habe ich es gespürt: die Unfähigkeit, abzuwarten, wenn das Werk nach mir ruft. Es ist, als würde ich hineingezogen in einen Tunnel, in dem nur noch eine Sache existiert – das nächste Detail, die nächste Korrektur, der nächste Schritt.
Ich würde lügen, wenn ich behaupten würde, dass es mich stört – nein, ich liebe diesen Zustand. Er schenkt mir eine Intensität, die alles andere überstrahlt. Ich vergesse die Zeit, vergesse mich selbst, bin nur noch Auge, Hand, Gedanke. Und doch erschreckt er mich zugleich. Denn er kommt mit einer Wucht, die keine Rücksicht nimmt auf Körper, Pausen, Menschen um mich herum
Hyperfokus – Geschenk und Zumutung
Was ich erst jetzt begreife: Dieses „Allesvergessen“ hat einen Namen. Manche nennen es Hyperfokus – ein paradoxes Phänomen, das oft im Zusammenhang mit ADHS/ADS beschrieben wird. Es meint die völlige, fast zwanghafte Konzentration auf eine Aufgabe, bis nichts anderes mehr zählt. Ein Zustand, der gleichzeitig Geschenk und Zumutung ist: schöpferisch, produktiv, aber auch gnadenlos.
Vielleicht fällt es mir gerade jetzt so deutlich auf, weil ich an meiner Autobiografie arbeite. Dieses Buch verlangt Entscheidungen von Endgültigkeit: Jedes Foto, jeder Satz ist ein Ja oder ein Nein, das bleibt. Und plötzlich erkenne ich: Dieses Muster ist kein Zufall, kein einmaliger Rausch. Es ist ein Erkennungszeichen meiner künstlerischen Arbeit.
Balance finden
Dass ich das erst jetzt so deutlich sehe, überrascht mich. Früher konnte ich es nur leben, nicht benennen. Heute schreibe ich darüber, weil ich weiß: Diese Getriebenheit ist Teil von mir – sie schenkt mir Klarheit, kostet mich aber auch Kraft. Und sie zeigt mir zugleich, wie wichtig es ist, Momente außerhalb des Tunnels zu suchen – wie heute, an einem Sonntag, unterwegs mit meiner Schwester.