Nach etwas, was man heute Burn-out nennt – stieß ich im Netz auf Texte von Frauen, denen es ähnlich ging wie mir. Ihre Worte haben etwas in mir zum Klingen gebracht. Sie halfen mir, meine Situation nicht länger als persönliches Versagen zu betrachten, sondern als etwas, das viele durchleben – auf ihre Weise.
Diese Erfahrung war damals ein Wendepunkt. Deshalb schreibe ich heute über meine Depression. Ehrlich. Roh. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit – aber mit dem Wunsch, dass sich vielleicht jemand darin wiederfindet.
Ich schreibe, um zu teilen – nicht, um Ansprechpartnerin zu sein. Ich erzähle. Mit Distanz. Mit Achtung. Für mich – und für die, die still mitlesen.
Das ist genug.
Ich schreibe, weil es mir hilft. Weil Worte mir helfen, zu spüren, was wirklich in mir vorgeht. Ich schreibe, um die Dinge, die sonst diffus und schmerzhaft in mir kreisen, in eine Form zu bringen. Ich schreibe, weil das Schreiben mir erlaubt, aus dem Inneren heraus zu sprechen – ohne dass ich unterbrochen werde, ohne dass ich mich erklären muss. Manchmal weiß ich erst beim Schreiben, was ich wirklich denke. Manchmal spüre ich erst beim Schreiben, wie sehr mich etwas berührt. Und manchmal ahne ich erst beim Schreiben, dass ich längst einen Schritt weiter bin als ich dachte.
Nach der Geburt meiner Tochter, im Dezember 1977, fiel es mir schwer, das Haus zu verlassen – ich erinnere mich vage. Viele Jahre später kam eine Schilddrüsenüberfunktion, die zunächst als Depression diagnostiziert wurde. Erst der Rat einer Freundin brachte mich zu einem Endokrinologen, der die richtige Diagnose stellte: Schilddrüsenüberfunktion. Der Arzt wollte mich sofort ins Krankenhaus schicken. Ich war allein mit meiner kleinen Tochter – also ging das nicht und ich versprach, zu Hause im Bett zu bleiben. Und so funktionierte ich weiter, stellte meine Verantwortlichkeiten über die Bedürfnisse meines Körpers. Immer wieder.
Dann kam der eigentliche Zusammenbruch. Ein tiefer, drastischer Einschnitt. Ich nannte es damals weiterhin nicht Depression, aber ich spürte: Jetzt geht es nicht mehr. Ich funktionierte weiter – äußerlich. Aber innerlich wurde es dunkel. Ich hatte den Gedanken, mein Leben zu beenden. Nicht, weil ich sterben wollte – sondern weil ich nicht mehr konnte. Was mich abhielt? Dass ich Mutter war. Und meiner Tochter keinen Selbstmord antun wollte.
Es vergingen viele Jahre. Anstrengende Jahre. Überlebensjahre mit Therapie. Bis es wieder etwas „normaler“ wurde.
Meine Tochter wurde erwachsen. Und auf Anraten einer Freundin zog bei mir ein Hund ein: Negrita. Sie brachte Struktur, Bewegung, Zärtlichkeit. Nicht als Heilmittel – aber als tägliche Erinnerung daran, dass ich noch da war. Noch verantwortlich war – auch für mich.Dann kam Jeannie dazu, ein weiterer Hund. Beide haben mich durch viele schwere Jahre begleitet. Sie sind jetzt tot. Negrita seit fünf Jahren, Jeannie seit vier. Und ich trauere noch immer um sie. Trotzdem habe ich mich entschieden, keinen neuen Hund mehr aufzunehmen – weil ich spürte: Jetzt bist du selbst dran.
Es war Zeit, mich selbst in den Mittelpunkt zu stellen. Nicht mehr zu funktionieren für andere – sondern nach innen zu lauschen. Und das war richtig so. Denn seitdem hat sich vieles für mich verändert und geklärt.
Da sind unzählige Erkenntnisse, die integriert werden wollen. Und im Moment schlägt mein Nervensystem Alarm, wenn ich beginne, darüber zu sprechen. Mir wird heiß und ich fürchte, ohnmächtig zu werden – und doch schreibe ich weiter. Weil ich heute spüre: Ich bin dabei, meine Depression wirklich zu akzeptieren.
Was meine ich damit?
Depression ist nicht einfach nur eine Störung oder ein Defekt, sondern sie reagiert auf etwas. Sie zeigt an, dass etwas aus der Balance geraten ist – körperlich, seelisch, sozial oder ganz tief innen. So wie Fieber ein Zeichen dafür ist, dass der Körper auf eine Infektion reagiert, so kann die Depression ein Zeichen dafür sein, dass ein ganzes System überfordert, überlastet oder erschöpft ist. Die Depression ist nicht der Feind – sie ist die äußerliche Erscheinung eines inneren Ungleichgewichts. Sie sagt: „Schau hin. Halt inne. Hör auf dich. Etwas stimmt nicht.
Ich meine nicht, dass ich sie mag.
Ich meine nicht, dass ich ihr einen Platz in meinem Leben freigeräumt habe wie einem alten Möbelstück in meiner Wohnung.
Ich meine:
Ich höre auf, gegen sie anzukämpfen, als wäre sie eine Verschwörung gegen mich.
Ich höre auf, zu tun, als sei sie ein Zeichen persönlicher Schwäche.
Ich sehe sie jetzt als das, was sie ist:
Ein Teil von mir, der auftaucht, wenn etwas aus dem Gleichgewicht geraten ist.
Ein inneres Alarmsystem.
Manchmal zu sensibel.