Ich könnte es jetzt tun.
Heute.
Das Manuskript meiner Autobiografie in eine druckfähige PDF-Datei umwandeln und auf Senden klicken.
Ein Klick – und die Seiten, mit denen ich über ein Jahr, so lange, gekämpft habe, würden meinen Schreibtisch verlassen.
Die Korrekturen sind abgeschlossen, jedes Komma geprüft, jedes Wort gewogen.
Neue Kapitelüberschriften gefunden, Fotos ausgetauscht – das Manuskript ist bereit – ich vielleicht noch nicht.
Ich sitze vor dem Bildschirm und spüre, wie sich in mir etwas zusammenzieht.
Ein Zittern, das nicht nur Angst ist, sondern auch Staunen.
Denn das, was ich jetzt loslasse, war lange Teil von mir.
In diesem Buch steckt alles – oder fast alles – von mir: mein Leben, meine Fotografien, mein Denken, mein Werden, meine Zweifel, meine Liebe. Jede Seite ein Raum, den ich immer wieder betreten habe, um noch ein Wort zu verschieben, noch eine Erinnerung zu klären, noch einmal zu fragen, ob Wahrheit auch Zärtlichkeit sein darf. Nun soll dieser Text in die Welt gehen, gedruckt, gebunden, sichtbar – und ich weiß: Mit dem Absenden der Datei verliert er seine Schutzhaut. Ab jetzt wird er gelesen, gedeutet, beurteilt. Er gehört mir nicht mehr allein.
Das nenne ich Fracksausen.
Aber vielleicht ist es auch Liebe.
Die Art von Liebe, die loslassen muss, damit etwas beginnen kann.
Ich spüre Gänsehaut, einen kurzen Druck im Kiefer, als würde mein Körper wissen, dass dieser Moment Gewicht hat.
So fühlt sich Endgültigkeit an – ein Innehalten zwischen Atemzug und Absenden, zwischen Kontrolle und Vertrauen.
Ist es vielleicht ein leises Zittern vor der Geburt von etwas, das größer ist als ich selbst? Und vielleicht braucht jede Geburt dieses Zittern – weil es uns daran erinnert, dass Leben immer dann geschieht, wenn wir bereit sind, etwas zu entlassen.
Doch heute noch nicht.
Noch einmal darüber schlafen …