Es ist Donnerstag, 24. Februar 2022 und meine heutige Verabredung wird erst einmal die letzte für mein Projekt sein, denke ich, als ich gegen Mittag in Richtung Wülfrath losfahre. Am kommenden Montag ist meine Augen OP und ich werde mich in den Wochen danach schonen müssen und habe darum keine weiteren Termine verabredet. Heute regnet es auch zum ersten Mal nicht, als ich mich auf den Weg mache und vereinzelt lässt sich sogar die Sonne blicken, wie schön. Die Strecke, die ich von Düsseldorf nach Wülfrath fahre, ist mir inzwischen schon recht vertraut.
Es geht nach Düssel, einem Stadtteil von Wülfrath. Meine Schwester hat hier in der evangelischen Kirche geheiratet und meine Mutter ihren 65. Geburtstag in der „Wasserburg“ gefeierte. Ja, die „Wasserburg“. Von Claudia erfahre ich, dass ihr richtiger Name „Haus Düssel“ ist und von Wikipedia, dass es sich um die gut erhaltene Vorburg, eines im späten 18. Jhd. entstandenen Rittersitzes handelt und heute ein geschütztes Baudenkmal ist. Bei meiner Ankunft in Düssel scheint doch tatsächlich die Sonne und ich finde es hier richtig schön. Die Stimmung ist auch eine andere als in Wülfrath. Hier zu wohnen und zu leben muss sich gut anfühlen denke ich. Claudia ist in Köln geboren und als 5-Jährige mit ihren Eltern nach Wülfrath gekommen, da ihr Vater als Ingenieur bei der Firma Ford angestellt war. Sie hat das Abitur in Wülfrath gemacht und ist dann in Wuppertal zur Fremdsprachenkorrespondentin ausgebildet worden. Einige Zeit lang ist sie dann bei Modenschauen „gelaufen“ und durchs Land gereist, da war sie Anfang 20. Die heute 58-Jährige hat mich beeindruckt. Aufgrund ihrer Sprachkenntnisse war es ein Leichtes für sie Flugbegleiterin bei der Lufthansa zu werden. Was in den 80er-Jahren schon eine recht anspruchsvolle Tätigkeit und nicht für jede junge Frau möglich war.
Doch trotz jeder Menge interessanter Erlebnisse war für sie nach 7 Jahren „die Luft raus“. Zu diesem Zeitpunkt wollte die Lufthansa sich entweder verjüngen oder verschlanken und 2000 Angestellte nahmen das Angebot einer Abfindung an und verließen das Unternehmen, so auch Claudia. Sie berichtet, dass sie zu diesem Zeitpunkt auch wissen wollte, was das Leben noch alles für sie bereithielt. Was dann kam, war eine Ehe und zwei Kinder und das Ende dieser Ehe und die Verpflichtung für sich und ihre Kinder den Lebensunterhalt zu verdienen. Sie ließ sich zur Entspannungspädagogin ausbilden und bot freiberuflich Kurse an. Sie hatte in diesen Jahren immer mehr als einen Job, berichtet sie mir. So hat sie z.B. im Café des Zeittunnels in Wülfrath Kuchen und Waffeln gebacken und dann Angebote und spezielle Führungen u.a. für Kinder kreiert. Sie liebt neue Herausforderungen. Doch sie wollte auch ökonomische Sicherheit für sich und ihre Kinder und entschied sie sich für eine Weiterbildung an der VHS in Wülfrath und einen Bürojob. Diesen fand sie vor 17 Jahren recht gruselig, und ist heute dort Vertriebsassistentin in Vollzeit und recht zufrieden.
Seit 12 Jahren singt sie in der Kantorei in Wülfrath, geht 2- bis 3-mal in der Woche schwimmen, fotografiert gerne und wandert mit Leidenschaft. Da sie nun seit 8 Jahren in Düssel lebt und mit wenigen Schritten in der Natur ist, kann ich das gut verstehen. Sie hat eine ganz speziell zugeschnittene Wohnung, in der wir sitzen, als draußen die Welt unterzugehen scheint, denn da tobt ein Hagelsturm. Düssel hat einen weitgehend erhaltenen historischen Ortskern und eine aus dem 11. Jhd., stammende Kirche, die gerade restauriert wird. Das Dorf Düssel hat seinen Namen vom Flüsschen Düssel, ein rd. 40 km langer Nebenfluss des Rheins und ist u.a. die Namensgeberin des Dorfes Düssel, der Stadt Düsseldorf, und seines Stadtteils Düsseltal, erfahre ich von Claudia, die gerade darüber nachdenkt, Führungen durch Düssel anzubieten.
Claudia verabschiedet mich mit den Worten: „Da habe ich heute viel über mich gelernt!“. Wie sie das gemeint hat, muss ich sie noch einmal fragen.