Welche Körper zählen?
Alle, die sichtbar werden. Jeder Schrei, jedes Haar, jede Geste sagt: Ich bin da.

Söder spricht von „einer Dame ohne Unterleib“¹.

Ein rhetorischer Schnitt, der Frauenkörper zur Metapher macht. Doch Körper lassen sich nicht wegreden.
Wir schreien. Wir fordern. Wir bleiben.

Gewollt war eine politische Metapher, die Frauen auf ein Klischee reduziert und zugleich entleibt.

Judith Butler hat gezeigt, wie Körper durch Sprache gerahmt werden – wer sichtbar wird, wer zählbar ist².
Barbara Duden sprach schon in den 1990er-Jahren von der „Frau ohne Unterleib“, als Warnung vor der Entkörperung³.

Entkörperung heißt:
Frauen verschwinden lassen – in Theorie, in Politik, in Sprache.

Lasst uns mit Fotografien etwas dagegen setzen:
Präsenz. Wut. Leben.
Denn Körper zählen. Immer.

Endnoten

  1. Markus Söder im Interview über die Bedeutung der Industrie: „Ohne Auto, Maschinenbau und Chemie ist Deutschland eine Dame ohne Unterleib“ (FAZ, 9. September 2025; zit. u. a. in Deutschlandfunk Kultur, ZEIT Online und Frankfurter Rundschau).

  2. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter (engl. Gender Trouble, 1990). Deutsch: Frankfurt/M. 1991. Vgl. auch Bodies That Matter (1993), wo Butler die Materialität von Körpern im Zusammenspiel mit Sprache und Normen thematisiert.

  3. Barbara Duden: Die Frau ohne Unterleib. Zu Judith Butlers Entkörperung (Beitrag in: Kursbuch 1993).

Wenn du Lust und Zeit hast, mehr zu lesen:

Die Formulierung traf mich wie ein stumpfes Messer.
Deutschland, sagte Ministerpräsident Söder, sei ohne Auto, Maschinenbau und Chemie eine Dame ohne Unterleib¹. Ich sah keinen Witz, keine Pointe. Ich sah einen Schnitt. Der Körper als Bühne, die Nation als Chirurg, die Sprache als Säge. Ein Menschenbild, vorgeführt als Jahrmarktstrick: Mann zeigt, wie man eine Frau verschwinden lässt. Mann zeigt den Trick – und nennt es Politik.

„Dame“ – nicht Frau. Ein Etikett mit Hut, eine Figur für den Salon. „Unterleib“ – nicht Bauch, nicht Becken, nicht Leib. Ein technisch kalter Begriff, der die Wärme des Lebendigen meidet und doch genau dort wühlt, wo Fortpflanzung imaginiert wird. Der Satz behauptet, die Ökonomie sei der Uterus der Nation. Er behauptet nebenbei, eine Frau ohne Unterleib sei nichts. Erlaubt ist dieser Gedanke, weil Sprache ihn in die Unschuld einer Analogie hüllt. Wer sich daran stößt, gilt als humorlos. Wer schweigt, stimmt zu².

Ich erinnere mich an eine alte Debatte. Judith Butler fragte, welche Körper durch Normen überhaupt als Körper zählen – sichtbar, betrauerbar, ansprechbar³. Barbara Duden warnte, im Triumph der Theorie könne der Leib verschwinden, das sinnliche Gewicht, der Schmerz, die Scham, die Freude. Ihre Formel „Frau ohne Unterleib“ war ein Alarmruf gegen die Abstraktion⁴. Dreißig Jahre später steht derselbe Satz auf einer politischen Bühne – und verrät, dass die Entkörperung längst Alltagssprache geworden ist.

Man kann die Figur lesen wie ein Bild mit schlechtem Schnitt. Ein Bild, das zu viel wegnimmt und zu wenig zeigt. Ich kenne die Macht des Crops. Ein falscher Beschnitt amputiert Würde. Ein sorgsamer Beschnitt verdichtet sie. In meinen Portraits habe ich gelernt, dass Haut nicht Kulisse ist, sondern Antwort. Ein Blick kann halten. Eine Narbe kann sprechen. Ein Körper, der sich der Kamera überlässt, wagt Zeigbarkeit – aber nicht als Metapher für etwas anderes, sondern als Gegenwart.

Die Politikmetapher missbraucht den Körper als Ersatzteil. Sie macht aus „Frau“ eine variable Rhetorik, die man je nach Bedarf in die Maschine schraubt. Das ist die erste Entkörperung: Dismemberment als Sprachfigur. Die zweite ist die De-Subjektivierung: Ein Körper, dem man das Ich entziehen kann, sobald er als Zeichen funktioniert. So wird der Unterleib nicht nur entfernt, er wird enteignet.

Butlers Frage hilft mir, den Rahmen zu sehen: Wer rahmt hier wen? Wenn Sprache die Welt schneidet, muss ich meine Rahmen offenlegen. Duden mahnt mich, den Leib zu halten, nicht als Essenzialismus, sondern als Widerlager gegen die glatte Zirkulation von Zeichen. Zwischen beiden verläuft mein Weg: Rahmen sichtbar machen und Leib nicht verraten.

Ich denke an die Frauen, die ich porträtiert habe – die, die Krebs überlebten und sagten: Ich bin da. Nicht hübsch für die Vitrine, nicht brav für die Nation, sondern anwesend mit jeder Falte, jeder Entscheidung. Portrait heißt, den Schnitt zu verantworten: Wie viel zeige ich, was verberge ich? Wessen Blick erlaube ich? In der Anordnung der Welt zu Bildern liegt eine Ethik der Nähe. Meine Antwort auf die „Dame ohne Unterleib“ ist daher kein Gegen-Slogan, sondern eine Gegen-Anordnung: Bilder, die nicht mehr entleiben.

Vielleicht braucht die politische Rede ein neues Vokabular, eines, das nicht am Körper spart. Wer von Industrie spricht, kann von Arbeit erzählen, von Händen, die Dinge formen, von Köpfen, die Lösungen denken, von Ökologie, die atmet. Man muss dazu niemandem den Unterleib abschneiden. Man könnte die Nation denken wie ein Geflecht – nicht wie einen Torso. Ein Geflecht kennt Knoten, Spannungen, Reibung, aber keine hierarchische Anatomie, die „unten“ als bloße Funktion fixiert.

Ich erinnere mich an einen Moment im Studio. Das Licht war weich, der Abstand klein, der Atem hörbar. Ich sah die Frau vor mir und wusste: Nichts an diesem Körper ist Metapher. Alles ist Zeichen für sich. So möchte ich schauen. So möchte ich sprechen. Und so wünsche ich mir Politik: als Praxis des Nicht-Entleibens. Als Kultur des anderen Schnitts: der, der zusammenfügt.

Die Debatte wird vergehen. Der Satz wird in den Archiven der Schlagzeilen versinken. Zurück bleibt, was er aufgerissen hat: die Frage, wie wir Körper in Sprache tragen. Ich bleibe bei meiner Antwort: mit Vorsicht, mit Respekt, mit Bild-Intelligenz. Und mit der festen Weigerung, den Unterleib – oder irgendeinen anderen Teil – je wieder als Ersatzteil der Nation zu behandeln.

Endnoten

  1. Markus Söder im Interview über die Bedeutung der Industrie: „Ohne Auto, Maschinenbau und Chemie ist Deutschland eine Dame ohne Unterleib“ (FAZ, 9. September 2025; zitiert u. a. in DIE WELT, Der Spiegel).

  2. Vgl. kritische Kommentare in brigitte.de, Frankfurter Rundschau, Deutschlandfunk Kultur (September 2025).

  3. Judith Butler: Das Unbehagen der Geschlechter (engl. Gender Trouble, 1990). Frankfurt/M. 1991; vgl. auch Bodies That Matter (1993).

  4. Barbara Duden: Die Frau ohne Unterleib. Zu Judith Butlers Entkörperung. In: Kursbuch, 1993. Diskursanalytische Kritik an der drohenden Abstraktion weiblicher Körper.

 

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