Für viele Models ist es ein persönlicher Traum, Teil einer solch ikonischen Show wie der Victoria’s Secret Fashion Show zu sein, auch wenn hier über Jahre ein bestimmter Frauentyp: schlank, groß und mit normativen Schönheitsmerkmalen ausgestattet, favorisiert wurde.
Die Shows betonten zudem einen stark sexualisierten Lebensstil, in dem Frauen primär als Objekte männlicher Begierde inszeniert wurden. Diese Darstellung hat ihre Wurzeln in patriarchalen Strukturen, die Frauen als dekorative Elemente sehen – nicht als handelnde Subjekte. Victoria’s Secret schrieb dieses Konzept fort, obwohl gesellschaftliche Entwicklungen längst darauf abzielen, Frauen als eigenständige Individuen mit vielfältigen Facetten zu stärken, statt sie auf eine stereotype Rolle zu reduzieren.
Während die Fashion Show über Jahre hinweg die Sexualisierung von Frauen als glamourös inszenierte, zeigt der aktuelle Vergewaltigungsprozess um Gisèle Pélicot in Avignon, Frankreich, wie diese Entmenschlichung in Gewalt münden kann.
Der Fall von Gisèle Pélicot, einer Frau, die über Jahre hinweg betäubt, vergewaltigt und dabei gefilmt wurde, offenbart die tief verwurzelten Strukturen einer Gesellschaft, in der Frauenkörper nicht als schützenswert gelten. Die Verbindung zu Formaten wie der Victoria’s Secret Fashion Show liegt in der Frage, wie Frauen durch visuelle und kulturelle Codes wahrgenommen werden: Werden sie primär als Objekte dargestellt, erleichtert dies eine Kultur, die Gewalt gegen sie trivialisiert oder gar rechtfertigt.
Fotografien, die Frauen nackt, fast nackt oder in stark sexualisierten Posen zeigen, verstärken die Objektifizierung weiblicher Körper und reduzieren sie auf Äußerlichkeiten. Dies geht nicht nur auf Kosten der individuellen Würde der Frauen, sondern prägt auch das gesellschaftliche Bewusstsein: Eine visuelle Kultur, die Frauen als Objekte des Konsums zeigt, erschwert es, sie als autonome Subjekte mit Rechten und Handlungsmacht wahrzunehmen.
Ein Beispiel dafür, wie stark visuelle Medien die Wahrnehmung von Frauen beeinflussen, liefert eine Studie der University of Michigan: Sie zeigt, dass sexualisierte Darstellungen in Medien das Empathieempfinden gegenüber Frauen und ihren Rechten mindern können. Diese Entmenschlichung spiegelt sich in Fällen sexueller Gewalt wider, wo häufig die Frage gestellt wird, ob das Opfer durch Kleidung oder Verhalten die Tat „provoziert“ habe – ein Beleg dafür, wie verinnerlichte Objektifizierung Täter-Opfer-Umkehr begünstigt.
Die Normalisierung solcher Darstellungen sendet die Botschaft, dass Frauenkörper zur Verfügung stehen – sei es visuell oder physisch. Das untergräbt nicht nur die Sicherheit von Frauen, sondern relativiert die Schwere von Gewalt gegen sie.
Ein häufig vorgebrachtes Gegenargument lautet, dass Frauen sich bewusst für solche Darstellungen entscheiden und dadurch ihre Freiheit und Selbstbestimmung ausdrücken. Doch dieser Wunsch sollte hinterfragt werden: Leben wir in einer Welt, die Frauen von Kindesbeinen an vermittelt, dass ihr Wert an Attraktivität und Sexualität geknüpft ist, kann ein solcher Wunsch selten völlig frei von äußeren Einflüssen betrachtet werden. Die Entscheidung, sich sexualisiert darzustellen, erfolgt häufig in einem Umfeld, das Frauen durch ständige Bewertung ihres Äußeren formt und lenkt.
Ein Beispiel hierfür ist die sogenannte *self-objectification* – ein psychologischer Zustand, in dem Frauen sich selbst durch den Blick anderer wahrnehmen und bewerten. Dies wurde in Studien wiederholt als Konsequenz der medialen Darstellung von Frauen identifiziert.
Fotografie in den Medien hat die Macht, andere Geschichten zu erzählen. Statt Frauen weiterhin auf Sexualität zu reduzieren, können Bilder geschaffen werden, die ihre Stärke, Kreativität und Individualität betonen. Es gibt viele Wege, Selbstbewusstsein und Freiheit zu zeigen, die nicht auf sexualisierende Klischees angewiesen sind. Dies bedeutet nicht, Frauen etwas vorzuschreiben, sondern eine visuelle Kultur zu fördern, die Vielfalt und Respekt in den Mittelpunkt stellt.
Indem wir alte Stereotype durchbrechen und neue Perspektiven schaffen, tragen wir dazu bei, Gewalt an den Wurzeln zu bekämpfen. Fotografien sollten nicht nur ästhetisch wirken, sondern auch die Menschenwürde der Dargestellten respektieren und feiern.