Zagreb, Dezember 1993
Ein Flüchtlingslager am Rand der Stadt. Es ist kalt. Der Schnee liegt schwer in der Luft. Ich gehe an einer Baracke vorbei. Durch ein beschlagenes Fenster blicken zwei Kinder. Einer lacht. Der andere schaut ernst.
Dieses Bild hat sich in mein Inneres gegraben. Weil es nicht das Elend zeigt, sondern das Dazwischen. Weil es nicht schreit, sondern bleibt. Die dunkle Holzwand. Die schmutzige Scheibe. Der flatternde Vorhang. Die Wäsche, die an einem Nagel hängt. Alles daran spricht vom Provisorium. Vom Leben in der Warteschleife. Aber da ist auch dieses Kinderlachen. Und inmitten der Ungewissheit: ein Moment von Licht.
Ein Archivmoment, der mich erinnert: Manchmal sind es nicht die lauten Bilder, die bleiben – sondern die, die flüstern.

Komposition
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Das Bild ist asymmetrisch komponiert – die linke Bildhälfte wird fast vollständig von einer dunklen Holzwand eingenommen. Nur der rechte obere Quadrant öffnet sich durch das Fenster zur eigentlichen Szene.
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Durch diese Begrenzung entsteht eine Spannung zwischen Verbergen und Offenbaren.
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Die Wäsche auf der Leine links balanciert das Bild aus – sie wirkt wie ein „Vorhang“ zwischen uns und dem Inneren des Hauses.
Licht und Oberfläche
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Das Licht ist diffus – winterlich, ohne harte Kontraste. Der Schnee draußen reflektiert aufhellend.
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Die Holzfassade mit ihrer rauen, dunklen Maserung kontrastiert mit dem zarten Blick des Kindes – eine starke Gegenüberstellung von Materialität und Gefühl.
Rahmung durch das Fenster
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Das Fenster fungiert als Bild im Bild: Ein Blick nach innen, aber auch ein Spiegel der äußeren Welt. Es ist verschmiert, die Scheibe leicht beschlagen, vielleicht durch Atem oder Kälte.
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Zwei Gesichter, eines davon hell und lachend, das andere dunkler, ernster – ein sprechendes Diptychon.
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Darüber liegt ein Vorhang, der fast wie eine Bettdecke aussieht – als ob hier Privates und Öffentliches miteinander ringen.
Zeitzeugnis aus dem Krieg
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Dezember 1993: Der Krieg im ehemaligen Jugoslawien war in vollem Gange. Flüchtlingslager wie dieses in Zagreb waren Orte des Übergangs, der Not, des Wartens.
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Das Bild dokumentiert nicht das Grauen – sondern das Leben, das trotz allem weitergeht. Und das ist seine besondere Stärke.
Blicke
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Die beiden Personen sehen durch die Scheibe – neugierig, ein wenig zurückhaltend, aber ohne sichtbare Angst.
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Die eine lacht, die andere wirkt nachdenklich. Es ist fast so, als würden sie zwei Seiten im Krieg verkörpern: Unschuld und Schwere.
Blickachsen und Machtverhältnisse
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Der Blick durch die Scheibe verweist auch auf unsere eigene Position: Wir sind außen. Beobachtende.
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Die Personen sehen uns – aber sie sind eingeschlossen.
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Damit wird das Foto zu einem stillen Kommentar über Nähe und Ohnmacht, über Beobachtung und Teilhabe.