Meine Meinung zu der Ausstellung “The Family of man”

Digitale Medien wollen vor allem unsere Aufmerksamkeit. Dabei ist es unerheblich, ob es sich um Fotografien, das Fernsehen oder Film handelt. Wobei die Fotografie das Medium mit dem größten Realitätsbezug ist. Fühlen wir uns durch diese Medien informiert? Oder sind sie nur eine Spielart von Manipulation und wollen verführen oder erotisieren?

Interessant ist, wie wir mit dieser auf uns einströmenden Bilderflut umgehen. Was nehmen wir tatsächlich wahr, was wird Teil unseres kollektiven, globalen Bildgedächtnis? Wer von uns hat schon gelernt, Fotografien zu lesen?

Fotografie, oder wie der Medienwissenschaftler Norbert Bolz es nennt, das „große stille Bild“ wird durch die Medien intensiv rezipiert und entfaltet eine enorme Wirkungsmacht bis dahin, dass sie auch Erinnerungen stiftet.

Ich habe übrigens bei Norbert Bolz an der Universität in Essen studiert und ihn als Freudianer wahrgenommen – eine nicht  angenehme Lehrkraft. Er war der Grund, warum ich ein ganzes Fach zusätzlich studiert habe, um eine gute Abschlussnote zu bekommen.

Doch zurück zur Fotografie, von der der Düsseldorfer Fotograf Horst Wackerbarth meint, dass sie eine tiefe und feinsinnige Wirkung erzielen kann. Dazu fällt mir die Ausstellung “Bilder im Kopf“, von Michael Schirner ein.

Im Jahr 1985 organisierte die Zeitschrift Stern eine Ausstellung, die die Macht des gedruckten Bildes unter Beweis stellen sollte, zeigte aber keine Bilder, sondern nur deren Beschreibungen.

Michael Schirner, Organisator der Ausstellung, erklärte dazu:

„Hier im Geflimmere, Gewimmel und Gewusel der sogenannten Neuen Medien wollte der Stern ein Zeichen setzen und die Kraft, die Magie und die Überlegenheit des gedruckten Mediums exemplarisch und für jedermann unübersehbar demonstrieren.“

Bei diesem Projekt werden einige der einflussreichsten Bilder der Fotografie-Geschichte zitiert, ohne dass sie selbst gezeigt werden. Diese sogenannten „Jahrhundertbilder“ sind so wirkmächtig, dass es genügt, sie kurz zu beschreiben, damit sie in der Erinnerung deutlich erscheinen, da sie im kollektiven Gedächtnis omnipräsent sind.

Der Jenaer Geschichtsprofessor Lutz Niethammer erklärt die Wirkung der Bilder im Kopf folgendermaßen:

„Im Langzeitgedächtnis des Menschen werden vor allem jene Dinge in bildhafter oder szenischer Gestalt bewahrt, die begrifflich in der Erfahrung nicht vorbereitet waren und eine starke emotionale Resonanz auslösten, also entweder sehr erfreulich oder außerordentlich schockierend, jedenfalls völlig unerwartet waren.“

Hat es funktioniert?

Hans Michael Koetzle nennt Fotografien, die im Laufe der 183-jährigen Geschichte der Fotografie zu Icons wurden “visuelle Platzhalter für zentrale Kategorien menschlichen Seins.”

Fotografien sind Dokumente menschlichen Seins.

Wenn wir sie als Abzug oder gedruckt in einem Buch haben, sind sie etwas, das bleibt, wenn das Ereignis, oder wir schon lange nicht mehr sind. Sie bezeugen das unerbittliche Verfließen der Zeit (Susan Sontag).

Das wird niemand bezweifeln wollen und ich denke dabei an die Fotografien meiner Familie.

Das sind Fotos, aus verschiedenen Jahren von meiner Tochter Sarah, sie ist 1977 geboren.

Private Fotoalben werden inzwischen gesammelt und archiviert, weil sie Teil unserer visuellen Kulturgeschichte sind. Susan Sontag war es, die meinte, dass wir, in dem wir von etwas ein Foto machen, diesem Moment Bedeutung geben. Für Diane Arbus war die Fotografie eine Möglichkeit, sich ein Gefühl von Wirklichkeit zu verschaffen. Ich habe mal gesagt, dass ich, weil ich fotografiere, in dieser Welt bin.

Ich stelle fest: Die Fotografie ist ein Medium von unterschiedlicher persönliche Bedeutung und eine „Sprache“, die im gleichen kulturellen Kontext inhaltlich gleich verstanden und rezipiert werden kann.
Da fällt mir ein Interview mit dem Dramatiker Heiner Müller ein, in dem er folgende Begebenheit schildert:
Einer Gruppe von Menschen in Afrika, die weit entfernt von der westlichen Kultur lebten, wurde Fotografien vorgelegt, die die Befreiung von Inhaftieren aus einem deutschen KZ zeigten. Das löste bei Ihnen schallendes Gelächter aus. Nach dem Warum dafür befragt, sagten sie, dass sie es nicht für möglich gehalten haben, dass Weiße so dünn sein können.

Die „Sprache“ der jeweiligen Fotografie ist vom Kontext abhängig, in dem sie entstanden ist. Die Aussagen/Botschaften von Fotografien werden ohne zusätzliche schriftlichen Erläuterungen rezipiert und verstanden. Das bedeutet eine große Verantwortung für Produzent:innen von Fotografien. Denn sie sollten eindeutig sein und keine Fehlinterpretationen ermöglichen.

Ich habe viele Jahre lang Demonstrationen, soziale Konflikte und Arbeitskämpfe fotografisch begleitet. Dabei sind auch Fotos entstanden, auf denen junge Menschen z.B. ihre Faust in die Luft strecken, vor Wut und Hilflosigkeit. Diese Geste hätten zu diesem Zeitpunkt auch als Gewalt, also falsch interpretiert werden oder in einem anderen Kontext als dem Ereignis gedruckt werden können. Darum habe ich immer sehr genau darauf geachtet, welche Fotos ich an eine Redaktion gegeben habe.

Bei meinen Studio-Portraits verzichte ich weitestgehend auf Accessoires, oder bin mir bewusst, was ihre Verwendung  „erzählt“.
So habe ich z.B. in 2021 eine Serie fotografiert, in der Frauen mit Absicht auf die gleiche Art gekleidet waren. Bei den verwendeten Gegenstände habe ich auf deren symbolische Bedeutung großen Wert gelegt oder was sie im Kopf bei den Betrachter:innen der Fotos auslösen könnten.

Diese Art des verantwortlichen Umgangs, mit dem, was auf meine Fotos abgebildet ist, nenne ich meine Haltung  – englisch attitude. Gemeint ist meine Gesinnung und Denkweise. Diese ist u.a. geprägt durch meine Sozialisierung als weiße Frau in Deutschland, meine Erziehung, Bildung und Erfahrungen und wie ich diese verarbeitet habe.
Ich erinnere mich daran, wie ich gelernt habe, was Feminismus und Sexismus bedeutet und an meine persönlichen Erfahrungen mit Diskriminierung. Ich vertrete meine Meinung dazu inzwischen recht deutlich und lasse nicht zu, es als ein “semantisches Problem” abzuwerten.

Diesen Text schreibe ich im September 2022 in einer Zeit, in der ich aufgefordert bin das “Happyland” zu verlassen. Diesen Begriff habe ich bei Tupoka Ogette gehört und es geht um das Thema Rassismus. Es ist nicht einfach für mich zu begreifen, wie sehr ich in dieses Thema involviert bin. Wie privilegiert ich lebe, trotz eines strukturellen Sexismus. Manchmal bildet sich immer noch ein Knoten in meinem Gehirn, wenn ich mich bemühe, alles zu verstehen. Ich verurteile mich nicht für das, was in der Vergangenheit war, doch nun stehe ich in der Verantwortung Anti-Rassistisch zu sein, denn es geht um das menschliche Sein.
Womit ich beim Thema der Ausstellung von 1955 angekommen bin.

The family of man

Schon klar, das ist ein langer Vorlauf, um endlich zum Punkt zu kommen. Mir ist es jedoch wichtig umfassend zu beschreiben, wie ich zu meiner Meinung zu dieser Ausstellung gekommen bin, denn um diese wird es nun gehen.

The Family of man ist eine legendäre fotografische Ausstellung, die 1955 von Edward Steichen für das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) zusammengestellt wurde. Die Ausstellung umfasst 503 Aufnahmen von 273 verschiedenen Künstlern wie z.B. Robert Capa, Henri Cartier-Bresson, Wayne Miller oder auch Dorothea Lange.
Nach einer zehnjährigen Weltreise wurde die Ausstellung 1964 dem Großherzogtum Luxemburg angeboten. Seit Mitte der 1990er Jahre ist sie dauerhaft im Schloss Clervaux ausgestellt. Dabei wurde die historische Anordnung der Fotografien von 1955 berücksichtigt. Seit 2003 ist die Ausstellung Teil des UNESCO Weltdokumentenerbes. Die Bilder handeln von 37 verschiedenen Themen wie Liebe, Glaube an den Menschen, Geburt, Arbeit, Familie, Bildung, Kinder, Krieg und Frieden. Steichens Absicht war es, einerseits die Universalität der menschlichen Erfahrung und Emotionen zu zeigen, andererseits aber auch die enorme Fähigkeit der Fotografie, diese Gemeinsamkeiten erfahrbar zu machen und einem breiten Publikum zu kommunizieren.
Seit ihrer Entstehung hat „The Family of Man“ mehr als 10 Millionen Besucher angezogen und tritt damit als legendäre Ausstellung in die Geschichte der Fotografie ein.

Der originale Katalog zu Ausstellung der aktuell in einer guten Druckqualität vorliegt.

Edward Steichen

Es geht im nächsten Beitrag weiter —>

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