„In einer rassistischen Gesellschaft reicht es nicht aus, nicht-rassistisch zu sein, wir müssen antirassistisch sein“.

Philosophin Angela Y. Davis

Musikerin Ronja Maltzahn

Jada Pinkett Smith

Vor ein paar Tagen habe ich in einer Facebook-Gruppe folgendes geschrieben:

Im Moment ist ja gerade das Aussehen von Frauen wieder Thema in den Medien, seien es die Dreadlocks einer Weißen oder die Erkrankung Alopecia, über die öffentlich gewitzelt wurde. Gerade Frauen sind von der Bewertung ihres Aussehens von Außen betroffen und ich bin froh darüber, dass ich zu dem Thema bereist gearbeitet habe und nun mit diesem aktuellen Projekt ein weiteres Zeichen gegen das Mainstream-Schönheits-Ideal setzen werde.

Darauf hin hat eine junge Frau, deren Meinung ich schätze, weil sie sehr engagiert auftritt, folgendes geantwortet:

“… Es irritiert mich, dass du diese Dinge:
Im Moment ist ja gerade das Aussehen von Frauen wieder Thema in den Medien, seien es die Dreadlocks einer Weißen oder die Erkrankung Alopecia, über die öffentlich gewitzelt wurde.
Zusammenpackst:
1. Dreads bei einer Weißen hat nichts mit dem Aussehen einer Frau zu tun, sondern mit kultureller Aneignung -> Rassismus.
2. Die Frau, über deren Erkrankung öffentlich Witze gemacht wurden, ist Schwarz. Die Haare Schwarzer Frauen sind ein absolutes Politikum, auch hier geht es also nicht um das Aussehen von Frauen sondern um das Aussehen von Schwarzen Frauen.
Leider leben wir in einer Gesellschaft, in der diese Unterschiede noch benannt werden müssen, da wir sonst Realitäten und zugefügte Schmerzen übergehen!

Mich haben ihre Worte unangenehm berührt, weil ich mich ungern von einer wesentlich jüngeren Frau zurechtweisen lasse. Sie ist außerdem als weiße Frau nicht selber betroffen. Was ich meine ist, wenn mich Betroffene direkt oder indirekt für mein Verhalten kritisieren, gilt es, zuzuhören und anzunehmen, schon klar! Doch wenn eine junge weiße Frau mir solche Vorwürfe macht, reagiere ich bockig. Ich habe mich u.a. gefragt, ob meine Reaktion eine „weißen Abwehrreaktion“ war. Das denke ich nun nicht mehr.

Sprache ist wichtig! Kontext ist wichtig!

Mein Kontext war, dass das Äußere von Frauen wieder einmal zum Thema in den Medien gemacht worden ist. Hätte ich das Thema Schwarze Frauen einbeziehen müssen? Ich weiß es nicht. Leona, so heißt die junge Frau, die mich kritisiert hat, hat meine Äußerung instrumentalisiert, um auf etwas aufmerksam zu machen, das ihr am Herzen liegt. Das hat mich vorrangig gestört, es hat jedoch dazu geführt, dass ich seit diesem Post viel darüber nachgedacht habe, inwieweit meine Äußerung alltäglichen strukturellen Rassismus beinhaltete, und mache das Thema zu diesem Beitrag.

Es galt viel zu lesen und mir wird bewusst, Rassismen sind meist so verinnerlicht, dass es selbst für aufgeklärte Menschen dauern kann, sie bei sich selbst zu erkennen und abzubauen.

Mir ist erst im letzten Jahr bewusst geworden, was es mit den Haaren von Schwarzen Frauen auf sich hat. Ehrlich, darüber habe ich mir zuvor nie Gedanken gemacht. Wie auch, mir war die Problematik einfach nicht bewusst.

Da gab es einen Spielfilm zu Thema „Glätten der Haare“ – der Titel fällt mir gerade nicht ein – den ich mir angesehen habe und dann habe ich in Serien darauf geachtet wie mit dem Thema umgegangen wird. Ich konnte feststellen, dass in aktuellen Serienfolgen mit dem Thema Haare bei Schwarzen sehr differenziert umgegangen wird und sie für mich als Weiße eine Menge an Informationen beinhalteten.
Beim Nachlesen im Netz habe ich wichtige Hinweise gefunden auf Literatur, die helfen kann, sich der Problematik zu nähern:

„Exit Racism“ von Tupoka Ogette, „Deutschland Schwarz Weiß“ von Noah Sow,
„Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollten, aber wissen sollten“ von Alice Hasters,
„Warum ich nicht länger mit Weißen über Hautfarbe spreche“ von Reni Eddo-Lodge
„Sprache und Sein“ von Kübra Gümüsay.

Unter meinem Post entstand eine wirklich sehr intensive Diskussion. Gut gefallen hat mir dieser Beitrag:

Ich glaube, hier liegt der Kern dieser typisch weißen Abwehrreaktion. Die Tatsache, dass jemand sich rassistisch verhält, heißt nicht, dass er ein Rassist sein muss. Rassismus hat zwei Komponenten: eine systemische und eine persönliche. Bei der persönlichen entscheide ich mich aus persönlicher und bewusster Überzeugung dafür, Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe zu diskriminieren. Das sind die wenigsten. So, dann haben wir aber noch den systemischen Part.

Und der bedeutet, dass wir als weiße Menschen in einer Kultur aufgewachsen sind, in der Schwarze Menschen benachteiligt werden, fällt uns nicht so auf, da wir nicht betroffen sind. Ist ähnlich wie beim systemischer Sexismus, der von Männern ebenfalls gerne geleugnet wird, weil sie persönlich keine Sexisten sind und selber davon nichts mitbekommen.
Lange Rede kurzer Sinn: man kann sich auch rassistisch verhalten, wenn man kein Rassist ist, einfach aus Unachtsamkeit oder Unwissenheit. Beides ist mir schon passiert. Weniger, seit dem ich angefangen habe mich mit dem Thema „weiße Abwehrmechanismen“ zu beschäftigen.
Was rassistisches Verhalten ist, definieren nicht wir, die Profiteure dieses Systems, sondern die, die von der Diskriminierung betroffen sind.
Es bedeutet auch, dass niemand Ronja unterstellt hat, einen „rassistischen Kern“ zu besitzen. Dennoch fallen Dreadlocks unter kulturelle Aneignung. Du bist damit nicht einverstanden? Ändert nichts an der Tatsache.“
Zitat aus enorm
… Laut der US-Juraprofessorin Susan Scafidi ist kulturelle Aneignung demnach eine „unerlaubte Wegnahme geistigen Eigentums, traditionellen Wissens oder kultureller Artefakte“.
Noch immer werden marginalisierte Gruppen, wie zum Beispiel Schwarze, aufgrund ihres Aussehens oder kultureller Bräuche ungerecht behandelt. Gleichzeitig bereichern sich dominante Gesellschaftsgruppen, vorwiegend Weiße, an eben diesen Symbolen fremder Kulturen – auch und weil sie keine Diskriminierung fürchten müssen.

Aber wenn ich Symbole einer anderen Kultur benutze, dann will ich diese Kultur doch in der Regel feiern – und nicht irgendjemanden diskriminieren. Kann sein. Einige machen in der Forschung und Begriffsklärung deswegen einen Unterschied zwischen „Cultural Appropriation“ und „Cultural Appreciation“ (kulturelle Anerkennung).
Beschäftigt man sich umfassend mit einer Kultur, an der man Interesse hat, und begegnet dieser mit Respekt, kann man von Anerkennung sprechen. Kulturelle Aneignung ist also stark vom eigennützigen und rücksichtslosen Vorgehen einer ausgegrenzten Kultur geprägt.
Bewirft man sich gegenseitig mit Farbpulver, nur um etliche Fotos davon für Instagram zu machen – oder kennt und achtet man den Hintergrund des heiligen Festes aus Indien, bei dem sich Menschen verschiedenster Gesellschaftsschichten mit geweihten (!) Farben bewerfen?

Whoopi Goldberg ist eine prominente Dreadlocks-Trägerin.

Amanda Lind, ehemalige schwedische Kulturministerin.

Um was geht es hier im Grunde?

  • Kulturelle Aneignung

  • Schwarze Frauen

  • Frisuren

  • Dreadlocks

  • Alopecia

  • Haare – ein Politikum

  • weißen Abwehrreaktion

  • Rassismus, systemische

  • Rassismus, persönlich

  • systemischer Sexismus

 

Besonders betroffen hat mich dieser Satz gemacht:

Was rassistisches Verhalten ist, definieren nicht wir, die Profiteure dieses Systems, sondern die, die von der Diskriminierung betroffen sind.

Als weiße Frau profitiere ich von dem Systeme, in dem ich aufgewachsen und sozialisiert worden bin. Wenn ich an den systemischen Sexismus denke, kann ich die Diskriminierung hautnah spüren und nachvollziehen. Was ich lernen und akzeptieren muss ist, dass ich ungewollt und unbeabsichtigt auch rassistisch sein kann. Das ist schmerzvoll und nicht leicht zu akzeptieren. Auch bin ich der Meinung, dass mir in diesem Punkt bitte mit Nachsicht begegnet werden muss. Ich bin bereit zu lernen und zu reflektiert, ich bemühe mich wirklich, doch es ist anstrengend und nicht immer nachvollziehbar und vor allem: Es ist nicht meine Absicht rassistisch zu sein.

„Dreadlocks“ komme von „to dread something“, also von „sich vor was fürchten“.

Zum Thema Dreadlook schreibt Maimouna Jah im Rosa-mag: „Der Begriff „Dreadlocks“ wurde von Rastafari wie Mortimer Planno geprägt und entstand Ende der 50er Jahre in der Karibik. „Wenn ich mich auf das Wort Dreadlocks beziehe, dann rede ich vom Ursprung, woher das kommt. Das hat sehr wenig mit dem Black Power Movement zu tun.“ Natürlich wurde die Frisur später auch von dieser Bewegung aufgegriffen, aber ursprünglich kommen Dreadlocks aus Jamaika und repräsentieren die Rastafari. Gerade dort gibt es immer noch viele Menschen, die für die Frisur verfolgt werden. Erst letztes Jahr wurden dort einer jungen Frau von Polizist:innen die Dreadlocks abgeschnitten.

Bei der kulturellen Aneignung gehe es nicht darum, dass weiße Menschen sich keine verfilzten Haare machen lassen dürfen. „Verfilztes Haar finden wir in allen Kulturen wieder, es gibt keine Kultur, die das für sich beanspruchen kann.“ Es gehe nur darum, dass sie diese entweder nicht als „Dreadlocks“ bezeichnen, oder sich proaktiv dem Rastafari-Movement anschließen. „Die Sprache ist hier das große Problem“, sagt Jah.

Aziz 2021

Aziz 2018

Aziz 2015

Aziz ist eine junge Frau, die schon öfters vor meiner Kamera stand, sie hat ihre Wurzeln im Kongo. Ich finde sie wunderschön und sie ist Schwarz.

Ist es rassistisch, wenn ich sage, dass mich vor allem ihre Schönheit beeindruckt hat und dass sie Schwarz ist, für mich nicht von Bedeutung war? Es war eher eine Herausforderung, den ich wollte den Ton der Haut korrekt ins Bild setzen, was nicht so einfach ist.

Kennenlernt habe ich Aziz als sie bei IKEA jobbte. Sie war Studentin der Architektur. Inzwischen ist sie fertig und beim letzten Shooting haben wir darüber gesprochen, ob sie Problem hatte einen guten Job zu finden nach dem Ende ihres Studiums. Sie hat mir berichtet, dass es für sie keine Probleme gab aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, womit ich gerechnet hätte und was Kommilitonen auch befürchtet hatten.
Wenn ich sage, dass vermutlich ihre Schönheit die Personal-Abteilungen ebenso beeindruckt hat wie mich, ist das rassistisch?

Frauen und Glatze

Haare waren schon öfters Thema meiner Arbeit. Zuerst waren es die Haare, die nicht mehr gefärbt wurden und dann die Haare, die nicht mehr da waren. Als es zu meiner Ausstellung „fuck you cancer“ kam, wollte ich mir auch eine Glatze rasieren lassen, aus Solidarität mit den Frauen aus meiner Serie. Meine Familie hat mich gebeten, es nicht zu tun, so habe ich es gelassen.

In diesem Zusammenhang stoße ich auf den Begriff „ALLY„.

Bei Nesrin Kaya lese ich: „Der Begriff Ally (Mehrzahl Allies) kommt aus dem englischen und bedeutet Verbündete. Jede*r kann ein Ally sein, sofern du nicht Teil einer marginalisierten Gruppe bist, die Diskriminierungserfahrungen machen. … Es existieren viele verschiedene Formen von Diskriminierungen. Aufgrund besonderer Merkmale werden bei Diskriminierung Personen ausgegrenzt, angebliche Unterschiede gemacht, sie werden eingeschränkt – also nicht behandelt wie andere. Diese ungleiche Behandlung wird mit diversen Argumenten begründet, welche meistens völlig absurd sind. …Diskriminierungen aufgrund besonderer Merkmale können zum Beispiel folgende sein: Geschlecht, sexuelle Orientierung und/oder Herkunft. …Als Ally hast du die Möglichkeit, einer Person, die sich in einem Moment der Schwäche befindet, Stärke und Kraft zu geben. Nutze deine Position.“

Zitat:
Ein Ally zu sein ist kein Etikett, sondern eine Haltung. Es bedeutet, Zustände kritisch zu hinterfragen und offen zu sein für Veränderungen, diversity-sensibel und vorurteilsbewusst und das in Handlung und Sprache widerzuspiegeln. Allyship ist ein proaktiver Prozess des Bewusstwerdens und des Handelns.

Das von Gardenswartz und Rowe entwickelte Modell FOUR LAYERS OF DIVERSITY hat das Gespräch über Vielfalt beeinflusst und erweitert. Es gibt den Ton für die Inklusion an, indem es die Realität jeder Person in der Organisation widerspiegelt.

Haltung

Genau darum geht es: Haltung zeigen. Es reicht nicht aus, stumm über die wiederkehrenden Taten den Kopf zu schütteln. Der Staat, die Institutionen müssen sehen, dass anti-rassistisches Denken nicht von einer Minderheit getragen wird, sondern von uns allen. Dass wir im Kampf gegen Rassismus vereint hinter den Betroffenen stehen – um ihnen den Rücken zu stärken. Ein kurzer Aufschrei reicht nicht aus, um strukturelle Veränderungen zu erzielen. Wichtig erscheint mir daher, ein Verständnis dafür zu entwickeln, wie das Weißsein mein eigenes Leben beeinflusst hat. Was ist für mich selbstverständlich?
Ein weites Feld.

Noch immer werden auch in der Medienlandschaft vorrangig weiße Menschen repräsentiert. Ob in Filmen, der Werbung, auf Magazin-Covern oder in der Kunst. Dabei fällt mir die NETFLIX Serie „Bridgerton“ ein.
Seit ihrem Start kurz vor Jahresende 2020 lässt die Netflix-Serie «Bridgerton» moderne Liebes- und Geschlechterpolitik sanft satirisch im Dekor und Setting britischer Kostümdramen ablaufen. Die Rolle der Frauen wird dabei nicht historisch, sondern aus heutiger Perspektive verhandelt. Dafür wird die unerwartete Hautfarbe einzelner Figuren schlicht nicht thematisiert. Im England des 19. Jahrhunderts gab es wenige, nicht weiße Menschen in der sogenannten «feineren Gesellschaft». Trotzdem wurde beim Casting für diese Serie colourblind gecastet, also die Rollen „farbenblind“ besetzt. Colourblind Casting ist zunächst einmal einfach die Umsetzung eines Ideals, einer Wunschvorstellung und auf jeden Fall kontextabhängig. Wie die gesamte Diskussion über dieses Themenfeld.

1984

Angela Davis habe ich in Oakland getroffen. Dort hat sie an einem College unterrichtet. Als ich eintraf, sprach sie gerade über August Sander, den deutschen Fotografen. Ich habe Angela Davis, eine beeindruckende Persönlichkeit, zu einem Interview und auf ihrer offiziellen Geburtstagsfeier getroffen. Sie spricht Deutsch, da sie 1965 in Frankfurt (Main) Philosophie und Soziologie, unter anderem bei Adorno und Horkheimer, studierte. Was mein Glück war, denn mein Englisch war zu diesem Zeitpunkt, so gut wie nicht vorhanden.

Wer ist Angela Davis?
Wikipedia nennt sie eine US-amerikanische Bürgerrechtlerin, Philosophin, Humanwissenschaftlerin und Schriftstellerin. 1970 setzte das FBI Angela Davis auf die Liste der zehn meistgesuchten Verbrecher der USA. Sie wurde verhaftet und ihr drohte wegen des Vorwurfs der „Unterstützung des Terrorismus“ die Todesstrafe. Reagan war zu dieser Zeit Präsident der USA. Gegen die Verhaftung von Angela Davis entwickelte sich eine weltweite Welle des öffentlichen Protests. Nach zwei Jahren wurde sie am 4. Juni 1972 in allen Punkten der Anklage freigesprochen.
Ja, es gab und gibt, in meiner Lebenszeit, Rassendiskriminierung in den USA, sogar per Gesetz.

logo

Melden Sie sich hier zu meinem Newsletter an und bleiben Sie informiert.

You have Successfully Subscribed!