Wrestling, Düsseldorf, 1. Mai 1988
Meine erste Begegnung mit einer anderen Wirklichkeit
Ich wusste nicht, was mich erwartet, als ich an diesem Tag in die Düsseldorfer Philipshalle ging. Es war die erste Wrestling-Veranstaltung in der Stadt, und ich war einfach: neugierig.
Es war ein Spektakel. Laut, körperlich, übertrieben – und in seiner Überhöhung doch von einer ganz eigenen Ästhetik. Ich hatte keine Beziehung zu diesem Sport. Und doch stand ich da mit meiner Kamera, zwischen den Zuschauern, und versuchte zu verstehen, was da eigentlich geschah.
Diese Fotografie zeigt keinen ganzen Kampf, keine Heldin, kein Siegerlächeln. Sie zeigt ein Aufeinanderprallen. Zwei Frauen, inszeniert als Gegenspielerinnen – im Fokus: Körper, Kraft, Reiz. Was mich daran fasziniert: das visuelle Ungleichgewicht. Das absichtlich Entstellte. Der verstellte Blick. Und die Frage, wer hier wirklich Regie führt – das Event? Das Publikum? Oder das Spiel mit der Projektion?
Vielleicht ist genau das die Essenz dieser Arbeit: Inmitten der Überwältigung einen Standpunkt zu finden.

Diese Schwarzweißfotografie ist geprägt von Dynamik, Fragmentierung und Spannung – sowohl im Bildinhalt als auch in der Bildkomposition.
Bildausschnitt & Perspektive
Die Fotografie zeigt keinen klassischen Überblick, sondern einen radikal fokussierten Ausschnitt einer Bewegung: Der Moment ist eingefroren kurz vor oder nach dem Aufprall. Der Bildausschnitt schneidet Körper an, lässt Gesichter teilweise verschwinden und erzeugt dadurch eine Fragmentierung, die die Energie der Szene betont. Die Kamera befindet sich auf Höhe des Rings, leicht schräg, was das Gefühl verstärkt, selbst Teil des Geschehens zu sein. Die Bewegungsunschärfen im oberen Bildbereich verstärken diese körperliche Nähe und erzeugen eine gespannte Unruhe.
Komposition & Linienführung
Die diagonale Linienführung – durch Seile, Gliedmaßen und Körperachsen – verleiht der Komposition eine starke Dynamik. Besonders dominant ist das diagonale Bein der Kämpferin im Vordergrund, das die Fotografie visuell fast teilt und wie ein visuelles Hindernis wirkt.
Die Bildmitte wird von einer spannungsgeladenen Leerstelle dominiert: einem Raum zwischen Bewegung und Körperkontakt, der gleichzeitig Vermeidung und Konfrontation inszeniert.
Licht & Kontrast
Der starke Kontrast zwischen Hell und Dunkel verleiht der Fotografie eine grafische Dichte. Die Beleuchtung – vermutlich Bühnenlicht – akzentuiert vor allem die glänzenden Flächen der Haut und die Strukturen der Kleidung. Der Fokus liegt auf Materialität: Haut, Jeans, Seil. Das Gesicht der Kämpferin im Hintergrund bleibt nur angedeutet – ein Schatten hinter Aktion und Pose.
Körpersprache & Gestik
Die beiden Körper kommunizieren fast ausschließlich über Kraft und Abwehr. Während die Frau im Vordergrund mit dem Rücken zur Kamera steht, ist ihre Haltung durch Spannung und Offensive geprägt. Die andere Kämpferin wird zurückgedrängt, ihre Hände offen, fast abwehrend. Der Moment scheint ambivalent: zwischen Angriff und Abwehr, Show und Ernst, Performance und Überschreitung.
Spannungsverhältnisse
In dieser Fotografie verschieben sich mehrere Ebenen von Spannung:
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Körperlich: Zwei Frauen in einer physischen Auseinandersetzung – Kraft, Schweiß, Kontrolle.
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Sozial: Weibliche Körper in einem männlich konnotierten Showformat. Sexualisierte Posen versus körperliche Macht.
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Fotografisch: Die Kamera entscheidet sich nicht für eine Heldin, sondern bleibt Beobachterin – dokumentarisch, aber nicht distanziert.
Fazit:
Diese Fotografie lebt von ihrem fragmentarischen Charakter. Sie verweigert eindeutige Lesbarkeit, lässt Leerstellen zu. Gerade das macht sie kraftvoll: Sie zeigt eine Inszenierung und durchbricht sie zugleich.
In der Reduktion auf Ausschnitt, Geste und Linie wird die Fotografie selbst zur Ringerin – mit dem Moment, dem Blick und der Frage: Was sehen wir hier eigentlich wirklich?