Ich schreibe das für mich – und vielleicht auch für dich. Für alle, die glauben, sie müssten erst perfekt funktionieren, um anfangen zu dürfen. Es reicht, da zu sein. Und ehrlich zu sein. Alles andere findet sich.

Ich hatte mir vorgenommen, nachdem in meinem Inneren langsam etwas Ordnung eingekehrt ist, mich endlich den vielen unsortierten Papierstapeln um mich herum zu widmen.
Endlich Ordnung schaffen.

Die Wohnung sollte widerspiegeln, was ich innerlich erarbeitet habe: Klarheit, Struktur, Luft zum Atmen.
Ein Außen, das dem Innen Raum gibt.

Ich hatte mir eine Struktur überlegt, nach der ich alles vorsortieren wollte. Doch dann konnte ich nicht beginnen. Stattdessen klickte ich mich durch Webseiten über ADHS, suchte nach Literatur, nach Selbsthilfegruppen.
Ok, gefunden. Und was nun?

Irgendwann öffnete ich doch die erste Mappe. Dann die nächste. Eine nach der anderen nehme ich in die Hand – und finde mich plötzlich zwanzig Jahre früher wieder.
Und da ist nicht mehr nur Papier, sondern Geschichte. Gefühl. Bedeutung.

Zwei alte Briefe:
Einer an meine Tochter geschrieben während eines Urlaubs in der Toskana.
Und einer von einem alten Freund – Pit aus Marburg.

Ich spürte: Ich möchte wissen, ob es ihn noch dort gibt.
Ich setzte mich an den Computer und suchte. Fand Hinweise auf ihn, aber keine Kontaktdaten.
Ich rief an – ohne Ergebnis. Schrieb schließlich eine eMail. Und warte nun, ob sich eine Tür öffnet.

Mein Nervensystem feuert Ideen – und Ablenkungen.
Wie also Ordnung schaffen, wenn jeder Gegenstand ein Echo ist?

Ich wünsche mir Klarheit – und spüre zugleich die Unmöglichkeit, sie linear herzustellen.
Und gleich bin ich beim Optiker verabredet, muss zur Post und habe noch eine Verabredung zum Essen.
Es ist, als würde mein Tag in alle Richtungen wachsen – aber nicht nach unten, nicht in die Tiefe, in den Boden der Dinge.

Ich merke: Dort, wo andere einfach „aufräumen“, beginnt bei mir ein Prozess zwischen Erinnern und Entscheiden, zwischen Festhalten und Loslassen.

Meine neue Ordnung sieht anders aus:

– Ich nehme mir nicht die Wohnung vor, sondern eine Fläche.
– Ich arbeite mit der Uhr – nicht mit dem Perfektionsanspruch.
– Ich frage nicht: „Brauche ich das?“ – sondern: „Was erzählt es mir?“
– Ich sortiere in Resonanz – nicht in Reißverschlüssen.

Manchmal schreibe ich kleine Notizen:
„Fundstück mit Bedeutung.“
„Später lesen, jetzt loslassen.“

ADHS zwingt mich nicht zur Unordnung. Es lädt mich ein, neue Wege zu gehen.
Zwischen Wille und Handlung muss nicht Scheitern stehen.
Es kann auch Sanftheit sein. Oder eine neue Sprache der Selbstführung.

Ich merke: Ordnung entsteht nicht durch Disziplin allein.
Sondern durch Verbindung – mit mir selbst, mit dem, was war, und mit dem, was möglich ist.

Und ich lerne, mich nicht an meinem Tempo zu messen –
sondern an meiner Wahrhaftigkeit.

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