Ayfer

Sie schaut direkt in die Kamera. Wach, ernst, fragend – nicht trotzig, nicht unterwürfig, sondern ganz bei sich. Ayfer. Ein Mädchen aus Gelsenkirchen, Tochter eines Bergmanns, eine von sechs Kindern. Es ist 1991, sie ist jung, doch ihr Blick trägt bereits die Ahnung einer Entscheidung: Ich werde meinen Weg gehen.

Im Hintergrund: ihre Mutter. Versunken, mit geneigtem Kopf. Ein Kopftuch, das schweigt – nicht aus Gehorsam, sondern aus einer eigenen Biografie, geprägt von Migration, Verzicht und der Hoffnung, dass die Tochter es einmal besser hat. Die Mutter ist Analphabetin, aber nicht ohne Sprache. Ihre Botschaft: Bildung ist der Ausweg. Und Ayfer hört sie.

Ich habe Ayfer 1991 für eine Broschüre des Wirtschaftsministeriums NRW porträtiert. Barrieren – Karrieren war der Titel. Ayfer hat mich beeindruckt. Ihre stille Entschlossenheit, ihr Wissen darum, dass sie für mehr bestimmt ist – nicht im Sinne von Ehrgeiz, sondern Würde. Ich wusste, dass sie kämpfen müsste. Das sie von vielen unterschätzt werden würde. Aber auch, dass sie Rückhalt hatte: von einem Vater, der Bildung über Tradition stellte. Von einer Mutter, die sich nicht mit dem Abbild begnügte.

Dieses Foto gehört zu den stillen Meilensteinen meiner Arbeit. Nicht, weil es laut oder spektakulär wäre. Sondern weil es das zeigt, worum es mir immer ging: das Unsichtbare sichtbar machen – ohne es zu überzeichnen.

Formale Analyse

Die Fotografie spielt mit Tiefe und Differenz: Ayfer im Vordergrund, scharf gestellt, ausgeleuchtet vom Tageslicht. Ihre Präsenz ist unumstößlich. Im unscharfen Hintergrund die Mutter – eine Figur des Herkunftsraums, gewissermaßen im Schatten, doch tragend. Die Komposition schafft keine Trennung, sondern eine stille Verbindung: Vergangenheit und Zukunft, Herkunft und Aufbruch.

Die helle Kleidung Ayfers hebt sie vom Hintergrund ab, macht sie sichtbar – im wörtlichen und übertragenen Sinn. Ihre Mutter hingegen verschwimmt, fast schemenhaft. Doch das Bild erzählt kein Entweder-Oder. Es ist ein Und: Ayfer ist nicht gegen ihre Mutter – sie ist dank ihr.

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