Warum ich diesen Text geschrieben habe?
Weil ich mich frage, ob ich wirklich dumm bin – oder ob dieses Gefühl nicht vielmehr ein Echo ist. Ein Echo alter Zuschreibungen, die sich in mir festgesetzt haben. Als Kind mit Legasthenie, als Mädchen, als Frau.
Weil ich heute, mit 75, immer noch manchmal denke: Ich weiß zu wenig. Und gleichzeitig spüre ich, wie viel ich weiß – über das Leben, über Menschen, über Fotografie. Und weil ich glaube, es heilt auch ein wenig, darüber zu schreiben. Vielleicht macht es sogar mutig?

Bin ich dumm?

Dass ich Legasthenikerin bin, wusste niemand in meinem Umfeld, als ich die Schule besuchte. Darum wurde mir nie viel zugetraut. Abgesehen davon, dass Frauen und Mädchen ohnehin nicht viel zugetraut wird. Da ich spürte, dass dies eine große Ungerechtigkeit war, habe ich wohl meine Revoluzzer-Mentalität entwickelt. Ja, tief in meinem Inneren und manchmal auch in meinen Worten empfinde ich die Notwendigkeit, mich gegen geltende Regeln aufzulehnen. Weil sie oder ich nicht zu ihnen passe. Heute habe ich einen akademischen Abschluss und fühle mich jedoch immer noch dumm. Oder ehe unwissend.

Für Politik habe ich mich schon früh interessiert, wohl auch darum, weil mein Vater ein hochpolitisch denkender Mensch gewesen ist. Ich sehe ihn noch heute, wie er im Wohnzimmer auf der Couch vor seiner Schreibmaschine saß und mit seinen dicken Arbeiterfingern in die Tasten einen Brief hämmerte. Er schrieb viele Briefe, einige würde ich heute wirklich gerne lesen. Also Politik und soziale Verhältnisse haben mich interessiert, später dann die Fragen zur Emanzipation und Gleichberechtigung. Und die Fotografie natürlich, die einen riesengroßen Raum in meinem nun 75-jährigen Leben immer noch einnimmt und eingenommen hat.

Seit Langem versuche ich mich von aktuellen Nachrichtensendungen fernzuhalten, weil die pessimistische Grundstimmung und natürlich das, was an Schrecklichem in der Welt so passiert, mich deprimieren. Gelegentlich zappe ich dann jedoch in eine dieser politischen Talkshows des Fernsehens hinein und bereue es jedes Mal, es getan zu haben. Die weißen Männer in solchen Runden reden in einer Sprache, die ich nicht verstehe.

Ich lese dennoch Nachrichten meist online. Fühle mich also hinlänglich informiert. Doch dann stelle ich fest, wie wenig ich doch weiß oder verstehe, und dann kommt der Punkt, an dem ich mich dumm fühle. Oder besser unwissend.

Ich bin ein Serienjunkie und verschlinge gut gemachte, überwiegend amerikanische, TV-Serien. Ich bewundere, wie sie es immer wieder schaffen, aktuelle gesellschaftliche Probleme mit Unterhaltung zu kombinieren, obwohl mich die vielen Sex-Szenen und dass immer Alkohol getrunken wird, schon stört. So habe ich schon eine Menge zum Thema Rassismus, Me-too, und Politik gelernt. Ich stelle immer wieder fest, dass es auch eine Menge Bücher gibt, die sich lohnen gelesen zu werden, doch ich lieb es, Hörbücher anzuhören.

Angefangen hat das vor über 10 Jahren, als ich täglich eine Menge an Fotosessions zu bearbeiten hatte, denn ich stellte fest, dass diese Arbeit nicht mein gesamtes Gehirn beansprucht und einem Hörbuch zu lauschen mich auch entspannte, vor allem körperlich, denn ich neige dazu, meine Schultern hochzuziehen, wenn ich mich konzentriere.

Wenn ich jedoch wieder einmal ein Buch in die Hand nehme, werde ich unmittelbar in seine Welt gezogen und genieße es und bekomme Appetit, selbst einen Text zu schreiben. Phänomenal, oder? Und da es dank der Erfindung des Computers und zahlreicher Programme mir als Legastheniker auch möglich ist, meine Gedanken in gut lesbaren Text fließen zu lassen, tue ich das auch. Doch ich schreibe auch schon mein halbes Leben lang Tagebuch, mit der Hand.

Vielleicht geht es gar nicht darum, alles zu wissen. Vielleicht genügt es, nicht aufzuhören, Fragen zu stellen.
Ich frage mich, wer ich bin – jenseits von Etiketten wie „dumm“ oder „klug“. Ich frage mich, warum ich schreibe – und erkenne beim Schreiben, dass ich mich erkenne. Und ich frage mich, was passiert, wenn wir uns trauen, unsere Geschichten zu erzählen – nicht perfekt, aber wahrhaftig. Vielleicht ist das der Anfang von etwas, das klüger ist als jedes Schulheft: Selbstachtung.

Was ich aktuelle lese:

 

Was ich mir gerade vorlesen lasse:

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