Die Zwangsläufigkeit der Veränderung ist eine universelle Konstante.
Ich habe ja schon öfter thematisiert, dass meine rezidivierende Depression in diesem Jahr besonders hartnäckig ist. Sie kostet mich Tage – und schlaflose Nächte. Lange hielt ich einen familiären Konflikt, der mir seit einiger Zeit schwer auf der Seele liegt, für die Hauptursache.
Doch als ich kürzlich wieder einmal versuchte, den Grund für diesen Konflikt zu verstehen, entdeckte ich eine andere Dimension.
Da ich aktuell keine Möglichkeit habe, die Situation zu verändern, fühle ich mich hilflos und ohnmächtig. Es gibt keinen Raum für Begegnung. Und doch war da noch etwas anderes:
Es war, als hätte der dadurch ausgelöste Schmerz nur einen Faden berührt – und damit ein ganzes inneres Gewebe zum Schwingen gebracht.
So etwas nennt sich Trigger.
Ein Auslöser für etwas, das tiefer liegt als jedes aktuelle Ereignis. Etwas, das schon lange in mir gespeichert war. Das war ein Wendepunkt. Ich erinnerte mich an eine Methode, die ich vor vielen Jahren in der Therapie kennengelernt hatte: EMDR.
Was ist EMDR?
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine Methode, die das Nervensystem dabei unterstützt, überwältigende Erfahrungen aus der Vergangenheit zu verarbeiten. Sie funktioniert wie ein inneres Aufräumen: Erinnerungen, die unter Stress „ungeordnet“ abgespeichert wurden, können mithilfe gezielter Augenbewegungen neu sortiert und emotional entlastet werden. Mich erinnern diese Bewegungen an die schnellen Augenbewegungen im REM-Schlaf – jener Phase, in der unser Gehirn tagsüber Erlebtes verarbeitet.
Vielleicht wirkt EMDR deshalb so kraftvoll: Es unterstützt das Gehirn beim Aufräumen, nur bewusst.
Es gibt zahlreiche Studien über die positiven Auswirkungen von EMDR bei der Verarbeitung von Traumata. Und ich begann, es für mich selbst anzuwenden.
Ich ließ mich in das Gefühl der Ohnmacht hineinfallen. Ich bewegte meine Augen, wie ich es gelernt hatte. Und plötzlich begannen in meinem Kopf Bilder aufzutauchen – Erinnerungen, die mit diesen Gefühlen verknüpft sind. Eine davon:
Ich war ein Kleinkind, verschluckte mich an einem Stück Apfel, bekam keine Luft mehr. Ich war schon blau angelaufen, wäre fast erstickt.
Ich hatte keine Worte. Nur Körperempfindungen, die sich tief eingeprägt haben:
Ich kann nicht atmen.
Ich bin ausgeliefert.
Ich bin hilflos. Ich bin ohnmächtig.
Als diese Bilder auftauchten, entschied ich mich, nicht wegzuschauen. Nicht zu verdrängen. Sondern dazubleiben – bei mir. Das Ereignis lief wie ein innerer Film ab. Und ich ergänzte ihn. Ich fügte Szenen hinzu, in denen ich das Apfelstück ausspuckte, wieder Luft bekam – und von meiner Mutter liebevoll gehalten wurde.
Das war der Moment, in dem etwas heil wurde
Mein Körper reagierte sofort. Ich begann zu gähnen – eine der sanftesten Arten, wie das Nervensystem sich selbst reguliert.
Ich spürte eine tiefe Erschöpfung – aber auch ein stilles, ungekanntes Glück. Nicht laut. Nicht euphorisch. Sondern dieses erdige Glück, das entsteht, wenn man plötzlich weiß: Etwas hat sich gelöst.
Ich entschied mich anschließend für eine geführte Meditation von Rüdiger Dahlke – und danach schlief ich tief und ruhig.
Was ich erkannt habe
Es war nicht der Konflikt im Außen, der mich depressiv machte. Es war der innere Film, der dabei in mir angespielt wurde.
Ein Film, in dem ich keine Stimme hatte. Kein Entrinnen. Keine Wahl.
Doch heute habe ich eine Wahl.
Heute kann ich mich halten.
Heute kann ich atmen.
Vielleicht ist das auch für dich wichtig, zu hören:
Wenn dich ein Mensch, eine Situation, ein Wort in tiefe Not bringt – frag dich nicht nur:
„Was passiert hier gerade?“
Sondern auch:
„Woran erinnert mich das?“
„Was in meinem Körper kennt dieses Gefühl schon viel länger?“
Und dann:
Sei bei dir.
Bleib.
Halte dich.
So beginnt Heilung.
Ich bin noch mitten im Prozess.
Vieles ist in Bewegung – in meinem Körper, in meinen Gedanken, in meiner Wahrnehmung.
Und genau deshalb schreibe ich: um nicht allein zu sein in diesem Wandel, sondern mich zu verbinden – mit mir selbst und vielleicht auch mit dir, die du das hier liest.
Oder, wie ich es neulich in meinem Podcast gesagt habe:
„Ich bin in Arbeit.“
Und das fühlt sich – zum ersten Mal seit Langem – nicht wie ein Mangel an, sondern wie ein lebendiger Zustand.
Ein Raum in mir, der sich gerade neu sortiert.
Mit Atem. Mit Stille. Mit mir.
Vor 15 Jahren hatte ich einen Blogbeitrag zum gleichen Thema geschrieben.
Offensichtlich habe ich inzwischen meinen Weg vom Kopf in den Körper gefunden.