Erinnerungen poppen einfach auf. Plötzlich am Morgen, nach dem Aufwachen, sind sie in meinem Kopf. Dann setzte ich mich hin und schreibe sie auf. Wenn ich so schreibe, kann es passieren, dass weitere Erinnerungen kommen. Das ist vor einiger Zeit wieder mal passiert und ich war nicht vorbereitet auf das, was dann passierte. Es war nicht einfach und hat eine depressive Episode ausgelöst, aus der ich mich nur schwer und langsam erhole.

Einige Zeit – ich weiß tatsächlich nicht, wie lange es war – nach meiner Trennung von Lothar klingelte eines Tages mein Telefon. Eine Frau stellte sich als eine ehemalige Freundin von Lothar vor. Obwohl das alles mehr als 40 Jahre her ist, erinnere ich mich noch genau an die Szene: Ich saß auf meinem Bett, als der Anruf kam.
Das Bett stand damals unter dem Fenster in unserem ehemaligen Schlafzimmer – ein Platz, an dem zuvor mein Schreibtisch gestanden hatte. Dieser Schreibtisch ist mir bis heute im Gedächtnis geblieben, weil ich an genau diesem Ort einen Schlüsselmoment in meinem Leben erlebte: Ich saß’s an diesem Schreibtisch und fragte mich: Was würde mir jetzt Freude machen? Mir fiel nichts ein. Diese Leere war für mich ein Alarmsignal. Es war der Moment, in dem ich beschloss, eine Therapie zu beginnen, um herauszufinden, was mit mir los war. Meine Therapeutin riet mir während der Therapie, keine weitreichenden Entscheidungen zu treffen, doch im Verlauf der Sitzungen erkannte ich immer klarer, dass ich Lothar um die Scheidung bitten würde.

Doch zurück zu dem Telefonanruf, der mir so lebendig in Erinnerung geblieben ist – ich kann die Szene noch immer spüren. Warum diese Frau mich damals anrief, weiß ich bis heute nicht. Sie erzählte mir, dass Lothar sie damals, als ich schwanger war, gefragt hatte, für wen er sich entscheiden sollte: für mich oder für sie. Lothar wollte das Kind eigentlich nicht.
Sie war also seine Affäre? Lothar war, als ich schwanger war, mit einer anderen Frau liiert? Ich erinnere mich, dass ich einen solchen Verdacht hatte und Lothar darauf angesprochen habe, doch er immer alles abstritt.

Wenn ich das hier so aufschreibe, bleibt mir immer noch die Luft weg.

Warum diese Frau mir das erzählen musste, habe ich sie nicht gefragt. Vielleicht war ich in diesem Moment wie betäubt, möglicherweise sogar dissoziiert – eine Reaktion, die mir in besonders belastenden Situationen nicht fremd ist. Vielleicht habe ich damals den Schmerz über diese unfassbare Grausamkeit des seelischen Verrats von Lothar nicht wahrgenommen, sondern verdrängt, weil einfach kein Raum dafür war?
Doch während ich mich jetzt, viele Jahre später, an diesen Moment erinnere, spüre ich den Schmerz so intensiv, als würde er gerade erst geschehen und meine aktuelle körperliche Reaktion darauf war heftig: Ich bekam schlimme Magenschmerzen, musste erbrechen und war tagelang wie erstarrt.
Wut, Trauer und Hilflosigkeit überrollten mich gleichzeitig, doch ich glaube, die Wut war am stärksten. Als Fotografin habe ich zahlreiche wunderbare Porträts dieses Mannes gemacht, und es kostete mich all meine Kraft, nicht hinzugehen und sie zu vernichten. Denn so sehr sie anzusehen auch schmerzt, sind sie auch einfach gute Fotografien.

Ich hatte damals schon eine leise Ahnung von Lothars Leichtfertigkeit, was unsere Ehe betraf, wollte es jedoch nicht wirklich wahrhaben. Rückblickend frage ich mich, warum ich meinem Verdacht nicht vertraut habe – oder warum ich dieses Misstrauen ignorierte. War es Naivität? Vielleicht war es auch eine Art Selbstschutz? Weil ich es nicht ertragen konnte, betrogen und belogen worden zu sein? Doch trotz allem ist das Wertvollste in meinem Leben aus dieser Zeit hervorgegangen: Meine Tochter, die im Dezember 1977 geboren wurde.

Seitdem ich diese Erinnerung aufgeschrieben habe, bin ich in einer sonderbaren Verfassung und spüre, wie ich in eine Depression gleite. Denn nicht nur der Schmerz ist mir in diesem Moment bewusst geworden, sondern auch weitere Erkenntnisse. Mein lebenslanger Zweifel an meinem Selbstwert, z.B. oder mein tiefes Misstrauen, Männern gegenüber oder meine Schwierigkeiten, echte Nähe zuzulassen – all das scheint seine Wurzeln in dieser Zeit zu haben.

Ich erinnere mich auch daran, dass ich einige Zeit nach der Scheidung, die sich aufgrund von Lothars Einsprüchen länger Zeit hingezogen hat, einen Traum hatte: Ich halte ein großes Messer in der Hand und steche mit aller Kraft auf Lothar ein und sein Blut spritzte in hohem Bogen aus ihm heraus. Als ich wach wurde, spürte ich ein Gefühl von großer Erleichterung.

Damit dachte ich, sei diese Beziehung ein für alle Mal beendet. Doch nun wird mir klar, dass es da einen Aspekt gibt, der bisher von mir nicht vollständig verarbeitet wurde. Es gibt da offensichtlich eine Wunde, die mir nicht bewusst war und die ich darum nicht verarbeiten konnte. Sie hat ihre Spuren hinterlassen und ist tief in meinem Leben verwoben.

Indem ich diese Erinnerungen reflektiere, wird mir so einiges verständlicher, was meinen Lebensweg anbelangt. Und es ist beeindruckend, was ich trotzdem in meinem Beruf und in meinem Leben geschaffen habe. Ich wünsche mir, es eher erkannt zu haben und da das nicht der Fall ist, bin ich traurig und wütend und ich hoffe sehr, dass ich diese Wunde jetzt heilen kann und diese Traurigkeit und Wut bald vorbeigehen wird und ich mir selbst die Würde und den Selbstwert zurückgeben kann, die mir damals vielleicht genommen wurden.

Manchmal können wir bestimmte Dinge erst erkennen, wenn wir ausreichend Abstand und die innere Stärke dafür haben.

Lothar hat übrigens rasant nach unserer Trennung eine Frau kennengelernt, die eine Tochter hatte; sie war jünger als Sarah. Er hat also die Rahmenbedingungen mit neuen Personen gefüllt. Als diese Frau dann schwanger wurde, hat er in die Scheidung eingewilligt und sie geheiratet. Sarah hat einen Halbbruder. Diese Ehe ist inzwischen auch geschieden.
Es gäbe da noch den Fakt: Sarah und ich haben nie Unterhaltszahlungen, zu denen Lothar lt. Scheidungsvereinbarung verpflichtet war, bekommen. Lothar hat stattdessen lieber einen Offenbarungseid geleistet.

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