…das ist eine Realität, die ich nicht länger verdrängen kann, und ich muss die Herausforderungen, denen ich nun begegne, ehrlich beleuchten. Das Alter ist eine unaufhaltsame Reise, die uns alle betrifft, doch die Art und Weise, wie wir es erleben und interpretieren, kann stark variieren. Mit dem Alter scheint die Zeit tatsächlich schneller zu verfliegen. Das Verschwinden der Jahre wird zu einer schmerzhaften Wahrheit und das Bewusstsein, dass die Zeit begrenzt ist, nagt an mir. Ich frage mich, ob ich genug getan habe? Das Älterwerden hat die Dringlichkeit meines Lebens verstärkt, und ich fühle mich manchmal von ihr erdrückt, weil es für mich eine Zeit der Unsicherheit und der körperlichen Herausforderungen ist. Es wäre schön, könnte ich diese Herausforderungen annehmen und die kritische Perspektive als Katalysator für Veränderungen nutzen. Leichter gesagt als getan. Momentan empfinde ich meine persönliche Situation eher als Niederlage und nicht als eine Gelegenheit, die Kunst und das Leben aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten und zu gestalten.
Mit 73 Jahren habe ich eine Fülle von Lebenserfahrungen gesammelt, die mich zu der Person gemacht haben, die ich heute bin. Ich habe Höhen und Tiefen erlebt, Erfolge gefeiert und Herausforderungen gemeistert. Ich habe das Recht, meine Identität und mein Leben so zu gestalten, wie es für mich richtig ist, unabhängig von den Erwartungen oder Vorurteilen der Gesellschaft. Ich kann meine eigene Definition von Alter, Weiblichkeit und Erfüllung schaffen und dabei mein authentisches Selbst zum Ausdruck bringen. Klingt überzeugend – geht aber wohl im Moment nicht. Ich hatte mir gewünscht, dass mein Älterwerden eine Zeit der Weisheit, Erfahrung und inneren Friedens sein wird. Momentan ist es jedoch eher eine Zeit der Sorge und Unsicherheit und ich erkenne zunehmend, dass das Älterwerden tatsächlich eine unangenehme Herausforderung für mich darstellt.
Anonymous Portrait Projekt

Als Fotografin habe ich mein Leben damit verbracht, Momente festzuhalten, aber plötzlich fühlt es sich an, als ob ich mit jedem Tag mehr verpasse. Ich spüre, wie meine Energie nachlässt. Diese physische Einschränkung ist sehr frustrierend. Als Fotografin fühle ich mich manchmal unsichtbar oder unterschätzt und fühle mich oft, als ob meine Arbeit nicht mehr so relevant ist wie die von jüngeren Kolleg:innen. Es ist schwer, sich von diesem Gefühl des Überholtseins zu befreien und den Glauben an die eigene Kreativität aufrechtzuerhalten. Gerne würde ich meine Reife und meinen einzigartigen Blickwinkel als Vorteile sehen, die meine Arbeit bereichern, doch das will mir nicht gelingen, auch wenn ich mir die Zeit nehme, um meine eigenen Gedanken, Träume und Ängste zu erkunden.

Das Älterwerden zwingt mich auch dazu, darüber nachzudenken, welches Vermächtnis ich hinterlassen werde. Welche Spur werde ich in der Welt der Fotografie hinterlassen, denn schließlich  bedeutet das Älterwerden auch, ein Erbe zu schaffen. Diese Vorstellung sollte meinem Schaffen einen zusätzlichen Sinn geben und mich daran erinnern, dass das Alter nicht nur mit Verlust, sondern auch mit der Möglichkeit des Gebens einhergeht. Doch mir fehlt gerade das Gen für eine positive Sicht auf meine Lebenssituation, so scheint es.

Selbstportrait  August 2023

Ja, es gibt Herausforderungen, gibt es auch Chancen und Schönheit in diesem Prozess? Ich würde es begrüßen, wenn ich es schaffen könnte zu sehen, dass das Alter nicht das Ende, sondern ein neuer Anfang sein kann, eine Zeit der Vertiefung und des Wachstums. Eine Zeit, in der ich meine Geschichten auf eine reichhaltigere und bedeutungsvollere Weise erzählen kann, und dass ich dies als  Geschenk schätzen lerne. Mein Körper, einst ein unerschütterlicher Begleiter meiner kreativen Odyssee, flüstert mir jetzt seine eigenen Geschichten. Die körperlichen Einschränkungen stellen eine unangenehme Erinnerung an die Vergänglichkeit des menschlichen Körpers dar. Und nicht nur die Welt betrachtet mich durch das Prisma des Alters, auch ich tue das und tauche öfter ein in die Tiefen meiner eigenen Gedanken und Erinnerungen. Was ich immer mehr begreife ist, meine Fotos sind nicht nur Bilder; sie sind ein Echo meiner Zeit, meiner Seele und werden zu Geschichten. Zu gerne würde ich sagen, dass das Alter keine Endstation, sondern eine Verwandlung, eine Transformation ist.

Damals

Selbstportrait 1964

Heute

Portrait Beate Knappe
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