27. Januar 2022

Es ist Donnerstag und es sieht aus, wie an den vergangenen Tagen auch: GRAU. Heute habe ich es doch tatsächlich geschafft, 5 Minuten eher loszufahren und als ich in Wülfrath auf der Goethestraße ankomme, ist es 10:00 h. Jutta hat gesehen, wie ich gegenüber einparke und öffnet mir die Türe. Sie hat liebevoll einen Frühstückstisch für uns gedeckt, an dem sie mir einen Stuhl anbietet und wir setzen uns.
Sie ist in Rohdenhaus aufgewachsen, doch Wülfrath ist nun ihre Heimat. Geboren ist sie 1958, im Krankenhaus in Mettmann. Ihre Eltern stammen aus dem Sauerland und kamen 1956 nach Wülfrath. Sie hat in Wuppertal Biologie studiert und als Lehrerin bei verschiedenen Institutionen gearbeitet und hauptsächlich Deutsch unterrichtet. Es gibt ihr was, wenn Menschen etwas durch ihre Arbeit lernen. Wissen zu vermitteln, versteht sie als ihre Mission. Dabei hätte sie allen Grund, sich einfach nur um sich selbst zu kümmern.

Die heute 64-Jährige hatte vor 24 Jahren einen Schlaganfall und ihre rechte Körperhälfte ist immer noch gelähmt. Ihr Sohn war gerade 7 Jahre alt, als das passierte. Und damit nicht genug. 2002 wurde Brustkrebs diagnostiziert. Doch das alles ist für Jutta kein Grund, aufzugeben. Nach dem Schlaganfall haben die Ärzte ihr gesagt, sie würde wohl nie wieder laufen können und bliebe ein Pflegefall im Rollstuhl. Sie konnte weder sprechen noch laufen und eine Psychologin riet ihr, sich damit abzufinden. Tja, die hatten nicht mit Juttas Willen gerechnet. Auch wenn es 10 Jahre gedauert hat, heute sagt sie: “Ich habe eine Stimme, oder?” Das hat sie! Beeindruckend. Gehen hat sie auch wieder gelernt. Zusammen mit ihrem Mann ist sie jeden Tag ein Stück weitergegangen, erzählt sie mir. Heute geht sie für ihr Leben gerne zum Linedance. Und, worauf sie besonders stolz ist, sie fährt ihr eigens Auto. Ich bin sprachlos und frage sie nach Vorbildern für diesen Willen zum Leben. Sie erzählt von ihrer Mutter, die Kehlkopfkrebs hatte, auch sie hat wieder sprechen gelernt. Durch die Lähmung ihrer rechten Hand machte das Lesen eines Buches, das sie nicht gut handhaben kann, nicht wirklich Freude und so erinnerte sich Jutta daran, dass sie schon als Jugendliche gerne gemalt hatte. Sie lernte eine Künstlerin aus Velbert kennen und sie beiden werden Freundinnen. Von ihr wurde sie bei dem Vorhaben selbst zu malen, intensiv unterstützt, berichtet Jutta mir. Heute hat sie ein kleines Atelier in ihrer Wohnung und auch schon einige Ausstellungen ausgerichtet. Stolz zeigt sie mir diverse Zeitungsartikel. Tief beeindruckt packe ich meine Kameratasche wieder zusammen, nachdem ich sie fotografiert habe und verlasse Jutta.

Die Wohnung, in der sie mit ihrem Mann lebt, war mal die Praxis des Arztehepaares Neitzer, bei denen ich als Kind und Jugendliche Patientin gewesen bin. Bei meiner Rückfahrt nach Düsseldorf komme ich an der Fatih Moschee auf der Lindenstraße vorbei und denke, dass ich mich unbedingt nach moslemischen Frauen erkundigen werde, weil ich möchte, dass auch sie in dieser Portrait-Serie vertreten sind. Vier Frauen habe ich bisher getroffen und fotografiert. Zu Hause hänge ich die ausgedruckten Fotos an die Wand. Gehe einen Schritt zurück und sehe sie mir an. Es ist eben ein Prozess und ich befinde mich mittendrin und muss es einfach aushalten. Im Kopf scheine ich einen Knoten zu haben, der sich nicht auflösen will. Auf der Suche nach Inspiration für die nächsten Fotos sehe ich mir jeden Tag Bildbände an. Ich verfüge über eine recht umfangreiche Sammlung. Und langsam wird mir bewusst, dass ich den Ansatz für dieses Projekt für mich neu definieren muss. Ich bin Portraitfotografin und keine Tageszeitungsjournalistin. Was ich über die Frauen weiß, erzähle ich in diesem Text, das Foto ist das Portrait, was entsteht, wenn ich sie ansehe und sie wahrnehme, so wie ich das bei meinen Shootings im Studio auch mache.

Die Schwierigkeit ist nur, dass ich dabei nicht in meinem Studio bin. Das ist die Herausforderung, auf die ich mich doch so sehr gefreut habe. Und jetzt komme ich genau damit nicht klar? Ich denke über die Brennweite nach, die ich beim nächsten Shooting verwenden möchte und darüber jetzt mal eine Pause zu machen – das geht so aber nicht. Bei mir nicht. Darum fahre ich in die Muckibude, Bewegung ist immer gut, draußen ist es grau und nass.

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