Susanne ist 54 Jahre alt und führt ein Leben, das sie sich vor vielen Jahren wohl nicht hätte ausmalen können. Geboren in Halle (an der Saale), einer Stadt im Osten Deutschlands, wuchs sie in der DDR auf. Sie war 19 Jahre alt, als sich die innerdeutsche Grenze öffnete – ein Moment, der ihr Leben und das vieler anderer für immer veränderte. Doch Susannes entscheidender Wendepunkt kam 2005, als sie ihrem Mann nach Nigeria folgte, wo er als Ingenieur eine Anstellung gefunden hatte.
In Abuja, der nigerianischen Hauptstadt, lebt Susanne in einem Spannungsfeld: Die deutsche Siedlung in Abuja gibt ihr Sicherheit, trennt sie aber auch von der Gesellschaft, die sie umgibt. Sie ist sich der Privilegien, die sie und ihr Mann genießen, bewusst, und die Armut vor den Toren der Siedlung lässt sie nicht los. Susanne und ihr Mann haben über die Jahre mehreren nigerianischen Kindern die Schulausbildung finanziert – ein kleiner, aber bedeutungsvoller Beitrag in einer Welt, in der Bildung oft der einzige Ausweg aus einem Kreislauf der Not ist. Doch Susanne weiß, dass dies nur ein Tropfen auf den heißen Stein ist.
Als gelernte Krankenschwester war Susanne gewohnt, zu arbeiten und einen direkten Beitrag zum Leben anderer zu leisten. Auch in Nigeria fand sie zunächst eine Anstellung in einer Klinik. Doch diese wurde geschlossen. Sie fand zeitweilig als Hundefriseurin eine neue Aufgabe, aber es blieb der Wunsch, eine Tätigkeit zu finden, die nicht nur praktisch, sondern auch sinnstiftend ist. Das Leben als weiße Frau in Nigeria macht es schwer, beruflich Fuß zu fassen. Rassismus, kulturelle Unterschiede und ein eingeschränkter Zugang zu lokalen Netzwerken stehen oft im Weg.
Inmitten dieser Herausforderungen traf sie ein persönlicher Schicksalsschlag: Susanne erkrankte an Brustkrebs. Es folgten 16 Chemotherapien, der Verlust ihrer Haare und ein langwieriger Weg durch medizinische Behandlungen. Heute befindet sie sich weiterhin in Folgebehandlungen, die sie regelmäßig nach Deutschland führen. Diese Reisen verbinden sie mit ihrer Heimat, sind aber auch eine ständige Erinnerung an den fragilen Zustand ihrer Gesundheit.
Vor etwa drei Jahren fand Susanne etwas, das ihr Leben erneut veränderte: die Fotografie. Was als Hobby begann, entwickelte sich zu einer Leidenschaft. Ihre afrikanische Umgebung, die für sie von Anfang an in leuchtenden, kraftvollen Farben sprach, fand plötzlich ihren Weg in Bilder, die diese Intensität einfingen. Sie nahm an verschiedenen Fortbildungen teil und mit der Zeit erkannte Susanne, dass die Fotografie mehr ist als nur ein kreativer Ausgleich – sie wurde zu ihrer Sprache.
Susannes Leben ist geprägt von Übergängen – von Halle nach Abuja, von der Krankenschwester zur Fotografin, vom Leben vor ihrer Krebserkrankung zu einem Leben mit der ständigen Erinnerung daran. Doch sie kann nicht definiert werden durch die Herausforderungen, sondern durch die Art, wie sie ihnen begegnet. Mit ihrer Kamera in der Hand schafft sie nicht nur Bilder, sondern auch einen Raum für sich selbst, in dem sie trotz der Unsicherheiten ihres Lebens Kontrolle, Ausdruck und Sinn findet.
Ihre Geschichte ist eine, die von Resilienz und Wandel erzählt – eine Geschichte darüber, wie man inmitten von Kämpfen neue Wege finden kann, sich selbst zu begegnen. Susanne gibt nicht auf. Sie ist überzeugt, dass ihre Perspektive wertvoll ist, und vielleicht ist das genau die Botschaft ihres Lebens: dass sie trotz aller Widrigkeiten weiter sucht – nach ihrem Platz, nach ihrer Stimme, nach ihrer Selbstständigkeit.
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