Ich sitze am Schreibtisch in meinem Büro. In diesem Raum, der in der 11. Etage ist und mir einen fantastischen Blick über den Stadtteil Bilk bietet. Die Sonne scheint und es ist unglaublich klar, ich kann bis zum Horizont blicken. Ich liebe diesen Blick. Die Häuser erscheinen so klein. Der Himmel ist so nach. Die Wolken ziehen kaum merklich vorbei. Vom nahen Landtag klingen die Trillerpfeifen der demonstrierenden Beamtinnen und Beamten herüber. Das Wetter ist wie für eine Demonstration gemacht, trocken und nicht kalt.
Auf den Kaminen der Häuser unter mir bewegt sich etwas im Wind und blinkt in der Sonne. Auf der Straße, die ich einsehen kann, fängt der Verkehr sich an zu stauen, ein Ergebnis des nahenden Demonstrationszug. Ich werde nostalgisch und erinnere mich an die Zeit, in der ich entweder als Teilnehmerin oder berichterstattende Fotografin Demonstrationen erlebt habe. Es ist lang her, wird jedoch für immer ein Teil meines Lebens sein.
Es waren die letzten Demonstrationen gegen den Vietnamkrieg, die Friedensbewegung und die Frauenbewegung. Hasselbach fällt mir ein, und ich spüre einen leichten Schauer auf meinem Rücken.
Ach, das waren noch Zeiten. Ich erinnere mich gern.
Damals!
Wir hatten wirklich das Gefühl, die Welt verändern zu können.
Gerade fängt die Feierabenduhr auf meinem PC an, eine Melodie zu spielen, offensichtlich hatte ich für diesen Zeitpunkt vorgesehen Feierabend zu machen, doch angesichts der Demonstration wird es besser sein, wenn ich noch etwas hier bleibe, denn anderenfalls stünde ich wahrscheinlich sowieso nur im Stau, und danach steht mir nun wirklich nicht der Sinn.
Habe gerade meinen Wasserkrug aufgefüllt und trinke ein Glas, gleich werde ich mir noch einmal ansehen, wie viele Demonstranten inzwischen vor dem Landtag angekommen sind, auch dafür ist die 11. Etage ideal, bietet sie doch einen hervorragenden Überblick, auch in diese Richtung.
Es geht mir gut.
Vor mir steht ein Foto meiner Tochter in einem Bilderrahmen, auf dem Schrank verdunstet Wasser in einem Duftlämpchen, „Gute Laune“ heißt das Duftöl, von dem ich ein paar Tropfen ins Wasser habe fallen lassen, obwohl ich das nicht nötig habe, denn ich habe „gute Laune“.
Ich schreibe mit der Hand und einem von mir so geliebten Gel-Tintenschreiber. Sie machen ein schönes Schriftbild. Ich schreibe, ohne Druck auszuüben, die Spitze des Stiftes gleitet mühelos über das weiße Papier. Eigenartig, wie aus der Bewegung meiner Hand Worte entstehen, die, die ich gerade denke. Ab und zu hebe ich meinen Kopf um den Horizont zu suchen, bis nach Langenberg kann ich bei diesem Wetter blicken, ich liebe es.
Links ist die Kuppel des renovierten Ständehauses zu sehen und rechts der Schornstein der ehemaligen Firma „Auto Becker“.
Die ist inzwischen ebenso Geschichte, wie es die Demonstration vor dem Landtag auch bald sein wird.