Mein Leben als Frau, Mutter und Fotografin

Heute bekam ich einen Kommentar zu meinem Buchtitel. Höflich formuliert, durchaus wohlwollend gemeint – und doch hat er in mir etwas angestoßen:

„Mich spricht der Untertitel ‚Mein Leben als Frau, Mutter und Fotografin‘ nicht so an. Vielleicht ist er mir zu geschlechtsspezifisch?! Bei mir hieße das dann: ‚Mein Leben als Mann, Vater und Fotograf‘.“

Ich habe diesen Satz mehrfach gelesen. Erst beiläufig, dann mit wachsender Irritation. Nicht, weil er mich verletzte – sondern weil er etwas offenlegte: ein Missverständnis über Sichtbarkeit, Benennung und das, was als „normal“ gilt.
Männlichkeit gilt in unserer Kultur noch immer als unsichtbare Norm. Die männliche Perspektive wurde historisch als neutral, objektiv, allgemeingültig gesetzt – in Literatur, Wissenschaft, Geschichtsschreibung. Alles andere – weiblich, nicht-binär, abweichend – wurde markiert. Was nicht männlich ist, muss erklärt, benannt, begründet werden.

Wenn ein Mann ein Buch schreibt, heißt es: Ein Buch.
Wenn eine Frau ein Buch schreibt, heißt es: Ein Frauenbuch.

Diese Hierarchie wirkt fort – auch (oder gerade) dann, wenn sie nicht bewusst gemeint ist. Wir sind es gewohnt, dass Männlichkeit nicht benannt werden muss. Sie gilt als Ausgangspunkt, als Referenz, als Standard. Weiblichkeit hingegen muss sich immer wieder rechtfertigen, wenn sie sich zeigt. Und noch mehr, wenn sie sich selbst benennt.

Ich habe diese Worte nicht gewählt, um zu gefallen – sondern weil sie wahr sind

Frau. Mutter. Fotografin

Das sind keine Etiketten. Keine Rollen, die ich mir für den Buchtitel übergestreift habe. Das sind Koordinaten meines Lebens. Ich bin als Frau aufgewachsen – in einer Zeit, in der das kein Nebenaspekt war, sondern mit konkreten Begrenzungen, Blicken und Zuschreibungen verknüpft. Ich wurde Mutter. Ein paar Jahre später war ich allein verantwortlich für ein Kind in einer Zeit, in der das kaum vorgesehen war.
Und ich wurde Fotografin – gegen so manche Wand, durch viele Türen, die sich nur zögerlich öffneten.

Diese drei Worte sind nicht additiv, sie sind verschränkt. Alles war gleichzeitig: meine fotografische Arbeit, meine Care-Arbeit, mein Frausein. Es wäre eine glatte Lüge, so zu tun, als hätte sich das alles brav getrennt. Und es wäre fahrlässig, diese Erfahrungen in der Rückschau unsichtbar zu machen – aus Angst, jemandem zu viel zuzumuten.

Viele Menschen halten es für selbstverständlich, dass berufliche und private Rollen getrennt gehören:
Die Mutter ins Private, die Fotografin ins Professionelle.

Da ich diese Worte nebeneinander stelle, verweigere ich diese Trennung. Ich zeige ein Leben in seiner Verwobenheit. Das provoziert – weil es keine einfache Kategorie bedient. Wenn ein Mann ein Buch schreibt, wird automatisch angenommen, dass er Vater, Ehemann, Berufstätiger ist. Das Bild ist implizit. Wird es explizit gemacht, wirkt es plötzlich „zu viel“.
Warum? Weil das Benennen der eigenen Identität als persönlicher Akt gelesen wird – nicht mehr als objektiver Bericht.

Ein Mann schreibt aus der „Welt“.
Eine Frau schreibt aus ihrem „Leben“.
Mein Leben ist Welt.

Natürlich könnte mein Buch auch anders heißen.
Ein fotografisches Leben.
Erinnerungen in Bildern.
Licht und Schatten.
Oder irgendein metaphorischer Titel, der offen bleibt, interpretationsfreundlich, gefällig. Aber ich bin nicht metaphorisch. Ich bin konkret. Mein Leben war nicht neutral. Es war gebunden an Erfahrungen mit Körper, Geschlecht, Mutterschaft, Beruf, Kämpfen und Wiederaufstehen. Ein Titel, der das glattbügelt, wäre ein Verrat an der Geschichte, die ich erzähle.

Der Titel konfrontiert mit verdrängten Realitäten

Frau – Mutter – Fotografin klingt für manche Ohren nicht nach Prestige, sondern nach Privatheit. Es ruft Bilder wach, mit denen viele Menschen sich unwohl fühlen – weil sie gelernt haben, dass biografische Erfahrung kein Argument ist, sondern bestenfalls Hintergrundrauschen. Aber ich mache sie zum Zentrum. Wenn jemand sagt, der Titel sei „zu geschlechtsspezifisch“, verrät er nicht, dass ich etwas falsch gemacht habe. Er verrät, dass wir es immer noch nicht gewohnt sind, dass Frauen ihre Geschichte selbst schreiben – mit den Worten, die ihnen entsprechen.

Ich schreibe kein Buch über die Frau. Ich schreibe mein Leben

Manche Menschen lesen den Titel und hören darin sofort ein Genre: „Frauenleben“, „Mütterliteratur“, „berufstätige Frau“. Ich höre darin etwas anderes: einen Dreiklang, der mich getragen hat. Eine Wahrheit, die nicht nur mir gehört – aber von mir erzählt wird. Ich schreibe nicht über „die Frau“. Ich schreibe als Frau. Und ich weiche dem nicht aus.

Warum der Titel bleibt

Weil er mir gehört. Weil er genau das benennt, worum es mir geht: Ein Leben, das nicht glatt ist, nicht exemplarisch, nicht neutral – sondern echt, widersprüchlich, erfahrungsgesättigt. Weil diese Worte mich beschreiben, ohne mich zu reduzieren. Weil es wichtig ist, dass sich jemand hinstellt und sagt:

Ja. Ich bin Frau. Ich bin Mutter. Ich bin Fotografin. Und all das gleichzeitig. Und ich schreibe davon nicht, um zu gefallen – sondern weil ich gelebt habe. 

Wer sich daran stört, darf  weitergehen. Ich aber bleibe bei dem, was mich trägt: Bei meinem Leben als Frau, Mutter und Fotografin. Und bei den Worten, die es mir ermöglichen, genau das sichtbar zu machen. 

logo

Melden Sie sich hier zu meinem Newsletter an und bleiben Sie informiert.

You have Successfully Subscribed!