„Das Gedächtnis der Frauen wurde in der Geschichte systematisch ausgelöscht. Ihre Klugheit, ihre Heilkraft, ihre Stimme. Die Hexenverfolgung war ein Krieg gegen das Weibliche selbst.“

Silvia Federici

Wissenschaftlerin und Aktivistin

Die Hexenwunde ist ein Begriff aus dem Bereich der spirituellen und psychologischen Heilung, besonders im Kontext weiblicher Erfahrungen, die über Generationen hinweg unterdrückt oder traumatisiert wurden. Er steht symbolisch für den Schmerz, die Verletzung oder das Trauma, das viele Frauen in sich tragen – als Folge von jahrhundertelanger Unterdrückung, Gewalt, Verfolgung und Schuldzuweisungen, oft im Zusammenhang mit Spiritualität, Weiblichkeit oder Intuition.

Die Hexenwunde ist das Echo auf Jahrhunderte der Verfolgung, des Vergessens, des Abwertens weiblichen Wissens, weiblicher Autonomie, Sinnlichkeit, Macht.

Als ich heute Morgen eher zufällig den Begriff hörte, ging ich gleich damit in Resonanz und fühlte diese Enge in meinem Hals, eine, die sich nicht mit Husten lösen ließ. Nicht mit Tee, nicht mit Schweigen, etwas schnürte mir meinen Hals zu. Da war jedoch auch eine Sprachlosigkeit, die sich tief in meinem Körper verankert hatte. Dem musste ich nachgehen. 

Ich begann zu recherchieren und erfuhr, dass der Begriff „Hexenwunde“ sich auf das kollektive Trauma bezieht, das viele Frauen durch die Hexenverfolgungen und deren Nachwirkungen erfahren haben – auch wenn sie heute leben. Es ist ein kollektives Unterbewusstes, das sich in Gefühlen wie:

  • Angst vor Sichtbarkeit
  • Scham für die eigene Spiritualität oder Weiblichkeit
  • Schuldgefühlen ohne klaren Grund
  • tiefer Traurigkeit oder Wut äußern kann.

Die „Wunde“ ist dabei nicht körperlich, sondern energetisch, emotional oder seelisch. Frauen empfinden sie als eine tiefe Verletzung – oft ohne zu wissen, woher sie genau kommt. Sie zeigt sich manchmal als:

  • Selbstsabotage
  • Angst, für sich einzustehen
  • Gefühl, nicht „richtig“ oder „zu viel“ zu sein
  • Blockade der eigenen Intuition oder Kreativität.

Zwischen dem 15. und 18. Jahrhundert fielen in Europa schätzungsweise 60.000 bis 100.000 Menschen den sogenannten „Hexenprozessen“ zum Opfer – 80 % davon waren Frauen. Besonders brutal verliefen die Verfolgungen in Deutschland, vor allem in katholisch geprägten Gebieten. Frauen wurden gefoltert, verbrannt, ertränkt – nicht wegen konkreter Taten, sondern aufgrund von Anschuldigungen, Denunziationen und tief sitzender patriarchaler Angst. Die verfolgten Frauen waren oft:

  • Heilerinnen, Hebammen, Kräuterkundige
  • alleinstehend oder verwitwet
  • unbequem, widerspenstig, auffällig
  • wissend, intuitiv, eigenständig

Was hier ausgelöscht wurde, war nicht nur das Leben dieser Frauen, sondern ein ganzes kulturelles Feld: weibliches Wissen, Körpererfahrung, spirituelle Selbstbestimmung, Intuition, Solidarität unter Frauen. 

Die Hexenverfolgung war keine Randerscheinung – sie war ein zentrales Disziplinierungsinstrument in der Entstehung der modernen europäischen Gesellschaft. Und sie hat Spuren hinterlassen: in unserer Sprache, unserer Scham, unserer Körperhaltung, unseren Beziehungen.

„Die Hexenprozesse waren kein dunkler Ausrutscher in der Geschichte. Sie waren eine zentrale Strategie zur Disziplinierung von Frauen.“

Christina von Braun

Kulturwissenschaftlerin

Zurück zu meinem Erleben, meiner Hexenwunde. Ich erinnere mich an Sätze wie:

  • „Du bist zu laut.“
  • „Du bist zu dominant.“
  • „Du sprichst zu viel.“
  • „Du nimmst zu viel Raum ein.“
  • Oder „Was denkst du, wer du bist?“

Sätze, die in den vergangenen 75 Jahren zu Untertiteln meines Lebens wurden und gegen die ich mich immer aufgelehnt habe. Da fällt mir z.B. mein Ex-Mann ein, als meine Fotos gedruckt wurden und Freund:innen diese lobten, meinte er: Du spreizt dich wie ein Pfau. Was er damit bezweckte, war, dass ich mich wieder unterordnete, schwieg. Zurück an den Ort ging, wo Frauen nicht stolz sein dürfen, nicht zu viel wissen, nicht glänzen.

Doch die Kamera war mein Werkzeug – nicht, um mich zu spreizen, sondern um mich aufzurichten. Und ja: Ich habe Raum eingenommen. Nicht, um andere zu blenden – sondern um nicht länger selbst ausgeblendet zu sein.

Heute schreibe ich diesen Text nicht, um zu klagen. Ich schreibe ihn, weil ich endlich nicht mehr verstumme. Weil ich weiß, dass ich nicht allein bin. Weil ich glaube, dass wir unsere Wunden nur heilen können, wenn wir ihre Geschichte erinnern. Und ich erinnere mich und ich will endlich heilen.

Die Heilung geschieht durch:

  • Bewusstwerdung des Themas
  • Auseinandersetzung mit weiblicher Ahnenlinie
  • Rituale, Frauenkreise, schamanische Arbeit
  • Schreiben, künstlerischer Ausdruck
  • Selbstermächtigung und Sichtbarkeit

Es geht dabei darum, sich selbst zu erlauben, wieder „sichtbar“ zu sein – mit der eigenen Weisheit, Kraft und Intuition. Und darum, alte Ängste zu lösen, die mit dem „Verbranntwerden“ (im wörtlichen oder übertragenen Sinn) zu tun haben.

Die Heilung kann nur beginnen, wenn du von deiner persönlichen Hexenwunde berichtest. Nicht als Opfergeschichte – sondern als ehrliche Rückschau.

  • Wann hast du gespürt, dass du dich nicht zeigen darfst?
  • Wo hast du deine Kraft unterdrückt, um nicht „zu viel“ zu sein?
  • Wer hat dir beigebracht, dass Intuition „komisch“ oder „unprofessionell“ ist?
  • Wann hast du geschwiegen, aus Angst, verurteilt zu werden. Aus Angst, verbrannt zu werden – nicht mit Feuer, sondern mit Worten, Blicken, Schweigen.

„Ich habe aufgehört, mich zu fragen, ob ich zu viel bin. Ich frage mich heute lieber: Bin ich genug für mich?“

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