Es ist früh am Morgen, ich stelle schon lange keinen Wecker mehr, wenn ich nicht unbedingt zu einem bestimmten Zeitpunkt wo sein muss. Als Erstes schlucke ich Medizin, ich habe keine Schilddrüse mehr, dafür muss ich eine gewisse Zeit lang vor dem Frühstück, etwas nüchtern schlucken. Danach greife ich zu meinem Handy. Zunächst interessiert mich, wie mein Schlaf war – dafür habe ich einen Tracker -, dann überprüfe ich meinen Zuckerspiegel – ich bin Diabetikerin. Danach wandert mein Blick weiter zu Instagram. Mein Daumen wischt über Bilder und Texte, die innerhalb von Sekundenbruchteilen an mir vorbeiziehen.
Früher begann mein Tag oft mit der Tageszeitung. Lange Sätze, tiefgründige Artikel und Ereignisse des Vortages verlangten meine volle Aufmerksamkeit. Die Zeitung zwang mich, innezuhalten, nachzudenken und Zusammenhänge zu verstehen. Sie erforderte Geduld und Konzentration, belohnte mich mit Hintergründen und einem tieferen Verständnis. Heute bringe ich diese Geduld nur noch selten auf. Zuletzt geschah das bei einem ausführlichen Artikel im Spiegel, der sich intensiv mit dem Vergewaltigungsprozess in Frankreich beschäftigte. Der Artikel war informativ und erschreckend.
Instagram liefert mir unmittelbar und aktuell Schlaglichter, Fotos und Texte, die meine Aufmerksamkeit fesseln. Insbesondere bei Themen wie gesellschaftlicher Diskriminierung oder Frauenfeindlichkeit. Oft finde ich hier Perspektiven und Nachrichten, die traditionelle Medien nur spät oder überhaupt nicht aufgreifen. Wenn mich etwas besonders interessiert, recherchiere ich direkt weiter. Manchmal genügt mir aber auch eine kurze Information, etwa dass ein Schauspieler, der wegen sexueller Belästigung verurteilt wurde, immer noch nicht versteht, was ihm vorgeworfen wird. Und ich erfahre, dass das Magazin „Cicero“ den Bericht des Verfassungsschutzes zur AfD als Download zur Verfügung stellt. Wenn Du ihn dir downloades, lass mich bitte teilhaben, danke.
Ich frage mich schon lange, woher meine Nachrichtenverdrossenheit kommt. Irgendwann konnte ich die tagtägliche Berichterstattung über alle Grässlichkeiten der Welt, wie sie etwa die Tagesschau präsentiert, einfach nicht mehr ertragen. Heute schaue ich gelegentlich auf meinem iPad in den News-Ticker der Tagesschau. Auf Instagram hingegen finde ich Berichte über die neuesten Entwicklungen um Trump oder die Lage zwischen Israel und Gaza. Dort sehe ich Proteste gegen die AfD ebenso wie gegen Trump. Sicher gibt es auf Instagram viel Werbung, und inzwischen langweilen mich auch die vielen Fotos, mit denen Kolleginnen meinen, Frauen empowern zu müssen. Doch gelegentlich spült mir der Algorithmus interessante Fotografie in meinen Feed, und ich lasse mich gerne inspirieren.
Gleichzeitig gibt es die Theorie, dass beim Scrollen auf Instagram Dopamin ausgeschüttet wird – jener Botenstoff, der Glücksgefühle auslöst und ein Gefühl von Belohnung erzeugt. Vielleicht ist es genau dieser kurze Kick, der uns immer wieder zum nächsten Bild, zum nächsten Post zieht, und der letztlich zu einer Art Abhängigkeit führt.
Während Instagram unmittelbare Teilhabe und schnelle, relevante Impulse bietet, fordert die Tageszeitung bewusstes Hinschauen und tieferes Nachdenken. Beide Welten haben ihre Grenzen: die Zeitung in ihrer begrenzten Aktualität und Perspektivenvielfalt, Instagram manchmal in seiner Flüchtigkeit und möglichen Dopamin-getriebenen Oberflächlichkeit.
Vielleicht liegt die Wahrheit nicht darin, zwischen Zeitung und Instagram wählen zu müssen, sondern darin, bewusst zu entscheiden, welche Art von Information wir zu welcher Zeit bevorzugen. Die Frage ist letztlich, wie wir unseren Tag gestalten möchten – welches Wissen wir in uns tragen, wenn wir abends die Augen schließen.
Wie informierst Du Dich am liebsten?