Nachdem ich veröffentlicht hatte, dass ich mein GöttinnenPortraitProjekt fortsetzen möchte, bekomme ich täglich Nachrichten von Frauen, die auch gerne ein Teil von diesem Projekt wären. Sie schreiben mir, u.a., wie begeistert sie von den bisher veröffentlichten Portraits sind. Das macht mich, verständlicherweise, sehr glücklich.

Ich versuche mich zu erinnern, was 2018 meine Inspiration gewesen ist. Warum bin ich dieses Thema fotografisch angegangen? Es geht nicht. Zu viel ist seitdem passiert und ich kann mich tatsächlich nicht exakt daran erinnern, um was es mir genau im Jahre 2018 ging. Daher habe ich jetzt beschlossen, die Serie aktuell nicht einfach nur fortzuschreiben, sondern sie auch inhaltlich neu oder erstmals zu definieren. Das heißt, ich werde viel lesen, recherchieren, in mich hineinspüren, mir Gedanke mache.

Was ich bisher gefunden habe, macht mich neugierig und ich bin gespannt, wohin es mich führen wird. Was ich bereits sagen kann ist, meine Einstellung zum Thema Weiblichkeit verändert sich gerade und ich bin dabei es für mich neu zu definiert und denke, das Thema gehört überhaupt neu definiert.

Sozialisiert in der Zeit der neuen Deutschen Frauenbewegung, der 70er und 80er-Jahre des letzten Jhd., habe ich darauf geachtet, als Frau nicht auf meine Gebärfähigkeit reduziert zu werden. Ich wollte „alles“ – ohne genau zu wissen, um was es sich dabei handeln könnte. Auf jeden Fall wollte ich nicht „nur“ Hausfrau sein. Mutter wollte ich jedoch werden. Und ganz ehrlich, ich habe die meiste Zeit der Schwangerschaft wirklich genossen und auch das Muttersein. Nicht, dass hier der falsche Eindruck entsteht, Weiblichkeit oder Frausein wäre für mich gleichbedeutend mit Mutterschaft. Keineswegs ist es das. Als junge Mutter waren meine Freundinnen oft kinderlose Frauen. Weil ich immer mehr sein wollte als „nur“ Mutter. Ich fand diese absolute Fokussierung auf das Kind, war schlicht dämlich. Es war mir einfach zu einseitig und zu determinierend. Mein ICH hatte mehr als diese eine Facette, davon war ich überzeugt, obwohl ich es auch genossen habe Mutter zu sein. Auf jeden Fall empfand ich mich in diesen Mutter-Kind-Gruppen als Fremdkörper, da gehörte ich irgendwie nicht hin, war mein Eindruck. Rückblickend kann ich die Frauen in diesen Gruppen verstehen und vielleicht hätte ich mir gerne diese Hingabe an das Kind und die von mir geforderte Rolle für mich gewünscht? Doch es ging nicht. Ich wollte dieses Kind, doch die dazugehörige Rolle eben nicht.

Als ich Ende 2019, durch einen festgestellten Krebs, gezwungen war, mich von meiner Gebärmutter zu trennen, bekam das Thema Frausein und Weiblichkeit eine neue Dimension für mich. Die Gebärmutter, das Symbol für das FRAU-SEIN gilt als die Quelle unserer Kreativität und Lebensfreude. Sie symbolisiert Stärke, Fähigkeiten, Potenzen und Ressourcen. Hier geht es eben nicht nur um das Gebären eines Kindes. Sondern auch um das in die Welt Bringen von Projekten und Ideen. Meine Tochter, die Hebamme ist, machte mich drauf aufmerksam, dass die Gebärmutter auch als „heiliger Schoß-Raum“ oder „Raum weiblichen Wissens“, „Quell weiblicher Kreativität und Spiritualität“ bezeichnet wird und weit mehr ist als nur ein körperliches, funktionales Hohlorgan. So wie unser Herz Gefühle wie Liebe repräsentiert, repräsentiert die Gebärmutter Ursprung, Fruchtbarkeit und Mütterlichkeit.
Den Verlust der Gebärmutter habe ich nicht als Verlust meines Frauseins empfunden, im Gegenteil, es hat mich veranlasst, mir dieses Thema erneut anzuschauen. Was ich jedoch vernachlässigt habe, ist eine notwendige Trauerarbeit. Mit anderen Worten, die Arbeit an dem Göttinnen Projekt hat für mich heute, im Jahr 2021, eine andere, vielschichtigere Bedeutung als 2018 bestand.

Heute bin ich Großmutter und erlebe an meiner Enkeltochter Tilda, dass „Weiblichkeit“ offensichtlich doch, was mit den Genen zu tun hat, den im Gegensatz zu ihrem Bruder, ist sie ein Mädchen, so sehr wie Elmo ein Junge ist. Ok, ich müsste an dieser Stelle aufzählen, was ich darunter genau verstehe. Ich sehe da an erster Stelle die Attribute von männlich und weiblich, die gesellschaftlicher Konsens sind, z.B.

Was mich wieder zu meinen Göttinnen bringt und dazu, wie der Begriff „Weiblichkeit“ konnotiert ist. Was schwingt alles mit, welche Gefühle und Assoziationen, ruft der Begriff hervor?
Wenn ich in mich hineinspüre, dann gibt oder gab es auch negative Eigenschaften, die dem Begriff weiblich anhängen. Schließlich ist
Weiblichkeit, ebenso wie Männlichkeit, ein kulturell-ideologisch verdichtetes Verständnis über zugeschriebene Eigenschaften und wird mit den biologisch weiblichen Merkmalen als verbunden angesehen. Manchmal auch als „gottgewollt“ beschrieben. In einer patriarchalen Gesellschaft bedeutet es auch machtlos zu sein. Dabei gäbe es keine Gesellschaft ohne Frauen, die Kinder gebären. Was läuft da falsch? Warum wird eine Eigenschaft und Fähigkeit, die zur Erhaltung einer Gesellschaft erforderlich ist, mit Schwäche, Minderwertigkeit und Unterordnung gleichgesetzt?

Manches als weiblich bzw. männlich gesehene Verhalten lässt sich unter biologischen Interpretationen auf hormonelle Unterschiede bei Männern und Frauen zurückführen. So ergab eine Metastudie der University of California, dass bei Menschen und Tieren unter Stress Oxytocin freigesetzt wird, das eine beruhigende, beziehungsfördernde Wirkung hat. Das weibliche Hormon Östrogen verstärkt diese Wirkung, während das männliche Hormon Testosteron die Oxytocin-Wirkung abschwächt, was bei Männern eher zu den typischen Stressreaktionen wie Aggressivität oder Flucht führt, während Frauen unter Stress eher betreuende Funktionen oder soziale Bindungen verstärken. Interessant, oder?

Was ist mit „Frausein“?
Die Geschlechtersoziologie sowie die Gender Studies verschiedener gesellschaftswissenschaftlicher Disziplinen beschäftigen sich mit dieser feministisch geprägten Frage. In meiner Diplomarbeit, im Kontext des Berufes der Atelierfotografin und den Frauen in der Fotografie-Geschichtsschreibung, habe ich mich bereits intensiv mit dem Thema beschäftigt. Trotzdem fühle ich mich vollkommen überfordert von Begriffen und Themen nicht binärer Individuen. Ich bitte darum, mich nicht falsch zu verstehen, ich bin für Diversität. Es ist an der Zeit, das zu thematisieren. Bei mir wird gerade alles, was ich bisher über Weiblichkeit und Frausein dachte zu wissen, auf den Kopf gestellt und einen weiteren Aspekt verkrafte ich daher aktuell nicht, er ist zu verwirrend.

Ich habe immer gegen die gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich meiner Geschlechtsrollenkonformität gekämpft, oder es zumindest versucht und erlebt, dass meine versuchte Nicht-Konformität mit meinem biologischen Geschlecht, negativ bewertet wurde.

Und nun beschäftige ich mich mit dem Thema „Weiblichkeit“, arbeite an einer Serie, die Frauen als „Göttinnen der Weiblichkeit“ portratiert. Mir ist bewusst, dass es sich bei dem Begriff „Weiblichkeit“ auch um eine Projektion von Normen, die von der Gesellschaft für Mädchen und Frauen gesetzt werden, handelt. Wie andere Normen kann man sie für sich auch umdefinieren, sich mit ihnen sogar vollkommen identifizieren oder sie ganz ablehnen.
Wie gehe ich eigentlich damit um?
Wie wird das von den Frauen gesehen, die Teil meines Projekts sein wollen?
Die Normen bezüglich Weiblichkeit betreffen Aussehen, Verhalten, Fähigkeiten, Bedürfnisse, Rechte und Funktionen in der Gesellschaft und leiten sich aus den Geschlechtermodellen, dem gesellschaftlichen Frauenbild ab. Unsere Gesellschaft wandelt sich immer wieder, stimmt schon, doch die Konformität mit geltenden Schönheitsidealen oder mit dem gesellschaftlich erwarteten Geschlechtsrollenverhalten gibt es immer noch. Das Thema ist wirklich nicht einfach. Vielleicht habe ich darum im Jahr 2018 nach 8 Portraits aufgegeben? Kann sein.

Aktuell war es das Buch „Genesis: Die Befreiung der Geschlechter.“” von Veit Lindau, und seine Beschreibung von Weiblichkeit, Patriarchat, Männlichkeit. Und die von ihm benannte Notwendigkeit eines Wandels in unserer Welt, die mich an diese Portraitserie erinnerte und mich inspirierte, mich erneut mit diesem Thema zu beschäftigen. Wenn ich so darüber nachdenke, lag es auch mehr oder weniger in der „Luft“, denn da gibt es ja meine Enkeltochter Tilda, der ich wünsche, in einer Welt aufzuwachsen, in der sie ihre Weiblichkeit, ihr Frausein leben kann, ohne daran gehindert zu werden, ihr gesamtes Potenzial zu entfalten und mit der Welt zu teilen.

Mit anderen Worten, ich freue mich sehr auf die neuen Portraits, die entstehen werden und darauf, wie ich Weiblichkeit für mich neu definieren werde. Dies nicht zuletzt auch durch die Begegnungen mit den Frauen, die Teil meiner Portraitserie „Göttinnen“ sein werden.

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