In diesem Jahr sind es viele.
Zu viele, um sie noch als bloße Nachricht abzulegen.
Namen, Gesichter, Stimmen – Menschen, die Teil meiner Zeit waren, Teil meiner Welt, Teil eines stillen, gemeinsamen Koordinatensystems.
Aktuell ist es die Nachricht zu einem Juristen, mit dem ich im gewerkschaftlichen Kontext zu tun hatte – nur wenige Jahre älter als ich. Es ist nicht nur Trauer. Es ist etwas Diffuseres, Tieferes. Ein leises Erschrecken darüber, wie dünn das Geflecht der Gegenwart werden kann.
Diese Menschen waren nicht nur „prominent“ oder „alt“. Sie waren Teil einer Generation, die mit mir durch Jahrzehnte gegangen ist – sichtbar oder unsichtbar. Sie bildeten einen Horizont, vor dem sich mein eigenes Leben abzeichnete.

Und nun wird dieser Horizont lichter.
Nicht abrupt. Nicht dramatisch.
Aber unbestreitbar.

Mit jedem Namen, der verstummt, verändert sich das Verhältnis zur eigenen Zeit. Plötzlich ist das Alter keine abstrakte Zahl mehr, sondern ein körperlich spürbarer Kontext. Ein stiller Hinweis darauf, dass auch die eigene Gegenwart nicht selbstverständlich ist.
Was mich daran so erschüttert, ist nicht die Angst. Es ist die Verdichtung.
Ein Bewusstsein dafür, dass Leben keine endlose Fläche ist, sondern ein begrenzter Raum mit zunehmend sichtbaren Rändern.

Diese Betroffenheit ist kein Sich-suhlen im Verlust. Sie ist eine Form von Aufmerksamkeit.
Ein Innehalten.
Ein genaueres Spüren dessen, was war – und dessen, was noch ist. Vielleicht ist das der stille Ernst dieser Tage:
zu begreifen, dass Weggefährt*innen nicht einfach verschwinden, sondern Spuren hinterlassen, die uns weiter begleiten – als Erinnerung, als Resonanz, als Teil einer gemeinsamen Geschichte.

Ich merke, wie sich mein Blick verändert.
Wie ich weniger selbstverständlich von Zukunft spreche.
Wie Gegenwart an Gewicht gewinnt.

Nicht als Panik.
Nicht als Dringlichkeitsrhetorik.
Sondern als Einladung, präsenter zu sein.
Wacher.
Weniger zerstreut.

Es gibt keine angemessenen Worte für das Verschwinden von Leben. Aber vielleicht gibt es eine Haltung. Eine stille Verneigung vor denen, die gegangen sind. Und eine bewusste Hinwendung zu dem, was noch atmet. Denn während die Reihen lichter werden, bleibt eine Verantwortung: Die eigene Zeit nicht zu vergeuden. Nicht im Aktionismus, sondern in Wahrhaftigkeit.

Vielleicht ist genau das die eigentliche Zumutung dieser vielen Todesnachrichten: nicht der Tod der anderen – sondern die Erinnerung an die Kostbarkeit des eigenen Lebens.

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