Es gibt Momente, in denen meine Welt einen Riss bekommt. Nicht, weil etwas Unerwartetes geschieht, sondern weil etwas Erwartbares geschieht – nur bei einem Menschen, von dem ich es nie erwartet hätte.Die Süddeutsche Zeitung hat recherchiert, Weckers Anwalt hat bestätigt. Ein erwachsener Mann, ein sehr junges Mädchen. Ein Machtgefälle, und er hat es genutzt und sie zum Sex verführt.
Ich war Fan. Jahrzehntelang.
Seine Lieder standen für Moral, für Unabhängigkeit, für Widerstand – und für etwas sehr Eigenes: Für mich waren sie eine Art Leuchtturm. Ein klares Licht in politisch unruhigen und unübersichtlichen Zeiten. Ein stilles, unabgesichertes „Ja, so ist es.“ Da sieht einer die Welt, wie ich sie sehe.
Und jetzt stehe ich da mit einem Gefühl, das irgendwo zwischen Trauer und Wut liegt. Und ich bin hilflos darüber, dass mein Vertrauen erschüttert wurde. Nicht nur in ihn, sondern in die Vorstellung, Poeten wie er seien andere Männer – sensibler, wacher, verantwortlicher.
Wir lernen wieder, was viele Frauen seit Jahrzehnten wissen: Machtmissbrauch ist kein Einzelfall, kein persönlicher Irrtum. Es ist ein Muster. Ein System. Und dieses System ist männlich.
Der Satz „alle Männer“ ist keine empirische Behauptung. Er ist ein Erfahrungsraum, gespeist aus Wiederholung: Beinahe jede Frau kennt die Geschichten.
Situationen, in denen etwas wie Einvernehmen aussieht und doch unausgesprochen von Ungleichheit geprägt ist – von Alter, Erfahrung, Einfluss, Bewunderung.
Dass ausgerechnet ein Mann wie Wecker – jemand, der so vehement für Haltung, Wahrheit und Unabhängigkeit stand – in einem solchen Kontext steht, macht es noch schmerzhafter. Nicht, weil er mehr Schuld trüge als andere. Sondern weil er ein Symbol war. Dafür, dass Empathie, Sensibilität und politisches Bewusstsein Männer zu Poeten machen können.
Und nun?
Denn jetzt ist er der Beleg dafür, dass ein Mann mit Macht, mit Einfluss einfach auch nur ein Mann bleibt. Und dass er ein Täter sein kann, der Schaden anrichtet. Kein Sonderfall. Keine moralische Ausnahmegestalt.
Es wurde angedeutet, man solle sein Verhalten im Licht eines Alkoholproblems sehen. Doch eine Sucht entschuldigt nicht, wie jemand handelt. Alkohol löst keine Verantwortung auf. Wecker bleibt verantwortlich. Für den Schaden, den er angerichtet hat.
Kann man Werk und Mensch trennen? Ich weiß es nicht.
Vielleicht muss die Antwort ambivalent bleiben.
Was ich gerade spüre, ist ein Abschied. Kein dramatischer, eher ein leiser.
Ein Abschied von einer Vorstellung, die ich lange mit mir herumgetragen habe: Dass Kunst, dass Haltung in Liedern bedeutet, auch im Alltag eine Haltung zu haben. Vielleicht bleibt am Ende nur dies: Haltung zeigt sich ausnahmslos im Grenzen achten. Nicht in Hymnen gegen Machtmissbrauch – sondern darin, niemanden zu missbrauchen.