Bei Instagram folge ich dem Account der New Yorker Fotografin Lola Melani. Ihre neuen Fotos erscheinen regelmäßig in meinen Newsfeed. Als ich das aktuelle Foto und das Making-of dazu sah, hatte ich nur eine Reaktion: ein lautes NEIN. Zunächst konnte ich nicht genau benennen, was mich an diesem Foto störte und musste darüber nachdenken.
Lola Melani ist weltweit als Maternity-Fotografin anerkannt und bekannt für ihre wunderschönen Aufnahmen schwangerer Frauen. Sie ist ein Vorbild, und viele Fotografierende orientieren sich an ihrem Stil, lassen sich von ihr inspirieren oder kopieren sie. Daher trägt sie, meiner Meinung nach, eine gewisse Verantwortung.
Ich glaube, dass das Bild der Frau in den Medien Einfluss auf unser Ansehen und unsere Stellung in unserer Gesellschaft hat. Unsere Gesellschaft ist patriarchal geprägt, das heißt, sie wird von Männern dominiert und repräsentiert.
Ich hatte eine längere Diskussion mit meiner Tochter darüber. Sie brachte interessante Aspekte ein, die ich bisher so nicht gesehen hatte. Meine Tochter meint, dass wir alle in diesem patriarchalen System “Opfer” sind und uns nicht wirklich daraus befreien können, also keine echte Wahl haben.
Ich wollte unter anderem nie so aussehen wie die Models bei “GNT” und habe meiner Tochter auch nie vermittelt, dass sie diesem Ideal entsprechen müsste. Ich habe mich bewusst von diesem Frauenbild distanziert und tue das auch bei der Darstellung schwangerer Frauen, weil ich diese Wahl habe.
Fotos kommunizieren immer mit den Betrachtern. Diese Kommunikation funktioniert nur, wenn beide die gleiche visuelle Sprache sprechen und in einem ähnlichen kulturellen Kontext stehen. Ich behaupte, die Sprache dieser Fotografin und die kulturellen Aspekte der Schwangerschaft zu verstehen. Wassertropfen auf nackter Haut kenne ich bisher nur aus der grenzwertigen Aktfotografie. Auch wenn Wasser in vielen Kulturen als “Quell des Lebens” gilt, denke ich nicht, dass der Einsatz von Wasser bei diesem Shooting diese Bedeutung hatte.
Die Diskussion mit meiner Tochter brachte mich auf eine neue Idee. Diese Fotografie scheint zu sagen: Schaut her, wir können alles haben! Wir sind jung, gut ausgebildet, haben tolle Jobs, sind schwanger und unsagbar sexy.
Ich kann nur vermuten und spekulieren, was sich die Fotografin bei diesem Foto gedacht hat. Die weiblichen Rundungen ihres schwangeren Modells hat sie mit einem sehr dünnen, feuchten Stoff betont. Der Stoff legt sich in einem schwungvollen Faltenwurf um den Babybauch.
Die feuchten Haare des Modells und ihr Blick kommunizieren, wie ich finde, etwas ganz anderes als die Blicke der Modelle auf den anderen Fotos der Fotografin.
Hot und schwül sind Worte die mir in den Sinn kommen – war das die Absicht der Fotografin?
Inzwischen bin ich sicher, dass es Absicht war und keine zufällig oder gedankenlos erzeugt Aussage. Sie will sagen: Ich bin schwanger und sexy!
Auch dies ist eine Fotografie von Lola Melani und zeigt eine schwangere Frau. Sie ist nackt, ohne entblößt zu sein. Der Stoff umfließt sanft ihre Figur und betont den Bauch. Ich mag dieses Stilmittel sehr und verwende es selbst gerne.
Die Frau wirkt selbstbewusst und wird nicht zur Schau gestellt. Die Fotografie vermittelt ihren Stolz und den Respekt der Fotografin. Sie zeigt eine schöne Frau, ihre Weiblichkeit und ihre Schwangerschaft.
Hier gibt es keine Mehrdeutigkeiten; alles ist eindeutig, klar und ohne Missverständnisse kommuniziert.
Ich erinnere mich noch sehr gut daran, wie die prüden Amerikaner auf das Titelbild der nackten und schwangeren Demi Moore, fotografiert von Annie Leibovitz, reagiert haben, denn ihr – Demi Moore – war anzusehen, dass sie Sex hatte, ansonsten wäre sie nicht schwanger.
Dieses Portrait war damals sehr innovativ und hat die Tür zu modernen Schwangerschaftsportraits heutiger Tage geöffnet.
Die junge, schwangere Frau auf der Fotografie von Lola Melani, scheint an Sex zu denken, ihn zu fordern, zu zeigen, dass sie bereit dafür ist.
Ich finde so eine Information im Kontext eines Schwangerschaftsportraits grenzwertig bis unangemessen. Doch, vielleicht bin ich es, die nun prüde ist und sehe den innovativen Ansatz nicht?