Warum mich das Sommerinterview mit Alice Weidel nicht kalt lässt.
Viele Menschen erleben die Welt als komplex, unübersichtlich, überfordernd:
Klimawandel – Migration – digitale Transformation. Das Gefühl, „nicht mehr mitzukommen“, wird politisch instrumentalisiert.
Ja, es ist gerade sehr anstrengend. Aber das rechtfertigt nichts.
Die A*D ist heute die größte Oppositionsfraktion im Bundestag. Trotz – oder gerade wegen – ihrer autoritären, menschenverachtenden und antidemokratischen Agenda?
Laut Bundesamt für Verfassungsschutz ist die A*D als Gesamtpartei rechtsextrem. Die „Junge Alternative“ und das Höcke‑Lager sind gesichert rechtsextrem. Das ist nicht der Rand. Das ist das Zentrum.
A.W. bezeichnete das Vorgehen des Verfassungsschutzes als „politisch motiviert“, gezielt gegen die A*D gerichtet, als ein Instrument des Innenministeriums, um die A*D zu diskreditieren. Indem sie das Bundesamt für Verfassungsschutz diskreditiert, inszeniert sich die A*D als Opfer staatlicher Verfolgung. Aus einem Amt, das Demokratie schützen soll, macht sie eine politische Waffe gegen die Opposition.
A.W. spricht in ruhigen Sätze. Mit berechnenden Worten. Mit der gezielten Verdrehung von Begriffen:
- Demokratie,
- Meinungsfreiheit,
- Neutralität.
Sie ist gefährlich, gerade weil sie kontrolliert wirkt. Weil sie den Anschein von Seriosität erweckt, während sie ein Gesellschaftsbild vertritt, das die Würde vieler Menschen negiert.
Was mir beim Scrollen durchs web noch durch den Kopf schoss, war: Project 2025. Ein Projekt der US-amerikanischen Rechten, das den systematischen Umbau des Staates vorbereitet – im Sinne einer christlich-nationalistischen, weißen Herrschaft. Kein Verschwörungsmythos, sondern ein öffentlich einsehbares Strategiepapier. Was dort vorbereitet wird – ist in Europa längst im Werden: In Ungarn. In Italien. In Frankreich. Und ja, auch in Deutschland. Es geht nicht mehr nur um Meinung. Es geht um Machtverschiebung. Um die schleichende Normalisierung von Rassismus, Autoritarismus, Demokratieverachtung.
Ich bleibe zurück: erschrocken und fassungslos.
Ist Normalität jetzt das Trostpflaster, das wir über die A*D kleben, weil wir uns nicht mehr aufregen wollen?
Ich bin nicht dafür, Weidel zu ignorieren. Die schlichte Forderung „Keine Bühne für die A*D“ greift oft zu kurz – gerade in Zeiten, in denen diese Bühne längst gebaut ist und viele schon daraufstehen. Die A*D hat längst öffentliche Sichtbarkeit – in Talkshows, Landesparlamenten, Social Media. Sie nicht zu zeigen, nimmt ihr nicht die Macht. Aber sie unkritisch oder dramaturgisch geschmeidig einzubetten, normalisiert ihre Positionen.
Sichtbarkeit muss Konfrontation mit sich bringen – kein Geplänkel, kein Gleichklang, kein „ausgewogener Dialog“, wenn die Grundwerte nicht verhandelbar sind.
- Was fehlt, ist eine aktive demokratische Erzählung, die nicht nur reagiert, sondern inspiriert.
- Faktenchecks in Echtzeit, nicht im Nachgang.
- Entlarvung von rhetorischer Strategie (Opferrolle, Ablenkung, Halbwahrheiten)
- Kontextualisierung extremistischer Aussagen – z. B. durch klare Hinweise auf Einstufung durch den Verfassungsschutz
- Verweigerung von Normalisierung: Kein Small Talk
Ich bin 75 Jahre alt. Ich habe genug erlebt, um zu wissen: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit.
Sie beginnt im Kleinen – in der Sprache. In der Haltung. Und sie endet, wenn wir aufhören, sie zu verteidigen.
* Ich schreibe den Parteinamen bewusst nicht aus. Das ist keine Verharmlosung, sondern eine bewusste sprachliche Markierung der Distanz.