Es gibt Tage, an denen das Leben sich anfühlt wie ein Hochgeschwindigkeitszug ohne Haltestellen. Termine reihen sich aneinander, To-Do-Listen wachsen schneller, als sie abgearbeitet werden können, und selbst die schönen Dinge, die mir eigentlich am Herzen liegen, fühlen sich an wie eine weitere Verpflichtung. Ich frage mich: Wie kann es sein, dass ich auf Ameland so wunderbar loslassen konnte – und hier zuhause das Hamsterrad wieder selbst angeworfen habe?

Das alte Muster: Immer in Bewegung bleiben

Auf Ameland war ich anders. Ich war nicht nur dort, sondern auch bei mir. Der Wind, das Meer, der Minztee – alles hatte eine Leichtigkeit. Ich musste nichts leisten, um mich wertvoll zu fühlen. Ich war einfach. Aber kaum bin ich zurück, scheint mein innerer Antreiber wieder das Ruder übernommen zu haben: „Los, weiter! Du hast doch keine Zeit zu verlieren!“
Es ist ein altes Muster, tief in mir verankert: Immer in Bewegung bleiben. Ein Mechanismus, der mich durchs Leben getragen und mich zu Erfolgen geführt hat, aber auch mich selbst oft vergessen ließ. Doch diesmal spüre ich es deutlicher denn je: Ich will nicht nur leisten – ich will auch leben.

Wenn selbst der Minztee nicht mehr schmeckt

Es sind die kleinen Zeichen, die mir verraten, dass ich wieder in der Spirale stecke. Der Minztee, der auf Ameland nach Weite und Ruhe geschmeckt hat, ist hier nur noch eine lauwarme Enttäuschung. Der Kaffee hingegen – der treibende, wachhaltende Kaffee – ist wieder mein bester Freund. Und mein Magen? Der rebelliert gegen die ständige Beschleunigung, als wolle er sagen: „Ich kann so nicht arbeiten!“

Von „Ich muss noch…“ zu „Ich darf…“

In den nächsten zehn Tagen stehen viele Dinge an, die mir alle wichtig sind: die Ausstellung in Chemnitz, ein Shooting, mein Archiv, Embodiment-Sessions, Rehasport. Doch in der Summe fühlt es sich nach einem erdrückenden Berg an. Das Problem ist nicht die Menge, sondern der Druck dahinter – das Gefühl, dass alles sofort und perfekt erledigt sein muss.
Dabei hatte ich bereits erkannt, dass es ums Sein geht, dass ich die Wahl habe. Doch die Vielzahl der anstehenden Termine hat mich abrupt wieder ins Tun katapultiert. Und paradoxerweise habe ich mich erst wieder wohlgefühlt, als ich getan habe. Dieser Widerspruch hat mein System auf Hochtouren laufen lassen, weil es damit nicht sofort klarkommt – weil es in den alten Automatismus verfällt, in dem Leistung das Wohlgefühl sichert. Ich spüre, dass hier eine tiefe Umprogrammierung im Gange ist, und das ist herausfordernd. Aber was, wenn ich die Perspektive ändere?

  • Nicht: „Ich muss noch essen und einkaufen.“
  • Sondern: „Ich darf meinen Körper stärken, weil er mich trägt.“
  • Nicht: „Ich muss meine Ausstellung vorbereiten.“
  • Sondern: „Ich darf meine Bilder auswählen, weil sie ein Teil von mir sind.“

Vielleicht ist es nicht möglich, das Hamsterrad komplett anzuhalten – aber vielleicht kann ich es langsamer drehen. Vielleicht kann ich kleine Inseln in meinem Tag einbauen, die mich daran erinnern, dass ich mehr bin als das, was ich leiste. Ein bewusster Atemzug, bevor ich die nächste Aufgabe starte. Eine Tasse Tee ohne Handy oder Ablenkung. Ein Moment der Stille zwischen den Anforderungen. Vielleicht wird der Minztee dann wieder schmecken und/oder ich besorge mir Wasser aus der Flasche als Ersatz für Amelandwasser.
Denn das Hamsterrad ist nicht das Problem. Das Problem ist, wenn ich vergesse, dass ich jederzeit aussteigen kann – oder zumindest entscheiden kann, mit welcher Geschwindigkeit ich laufe.

Fazit: Ich entscheide über mein Tempo

Ich kann nicht alles aus meinem Alltag streichen – und das will ich auch gar nicht. Aber ich kann bewusst wählen, wie ich ihn erlebe. Ich kann mir selbst die Erlaubnis geben, innezuhalten, auch wenn das Außen nach Geschwindigkeit schreit. Und ich kann mir merken: Mein Wert liegt nicht darin, wie viel ich tue – sondern darin, dass ich bewusst bin, während ich es tue.

Vielleicht ist das der Schlüssel, um den Minztee wieder schmecken zu lassen.

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