Zwei Monate nach meinem Unfall in Chemnitz war ich an diesem Morgen erstmals wieder in der Muckibude. Langsam und vorsichtig, schon klar – ich bin nicht durchgestartet, ich bin aufgetaucht. Mein Körper fühlte sich schwer und fremd an, und doch war da ein Moment von: Ich bin hier. Ich tue etwas für mich.
Zehn Minuten Laufband. Fünfzehn Minuten Rad. Mehr nicht.
Aber es war der erste Schritt zurück in Richtung Beweglichkeit. In Richtung Kraft. In Richtung Leben.
Zurück zu Hause legte ich mich erst einmal wieder auf mein Heizkissen – mein treuer Begleiter dieser letzten Wochen. Mein Rücken verlangte danach. Doch in mir war etwas wach geworden:

Ich hatte mich bewegt, und das hatte etwas in Bewegung gesetzt.

Heute, an meinem 75. Geburtstag, war das der richtige Start in einen neuen Monat – und in mein weiteres Lebensjahr. Zum Mittagessen war ich mit meiner Familie verabredet. Darum stand ich nach dem Duschen vor dem Kleiderschrank und wusste nicht, was ich anziehen sollte. Der Punkt ist der: Mir passen meine Kleider nicht mehr. Ich habe im letzten Jahr viel Gewicht verloren, die meisten Teile sind zu groß. Und ich weiß noch gar nicht, was mir jetzt gefallen würde, darum habe ich bisher nicht wirklich Lust, mir etwas Neues zu kaufen. Und da war er plötzlich:

Der Rock.

Er hing jahrelang in meinem Schrank. Ein Jeansrock.
Er passte nie so richtig.
Trotzdem habe ich mich nicht von ihm trennen können.
Vielleicht, weil ich eine Ahnung hatte:
Es könnte der Tag kommen, an dem er passt.

Und dieser Tag war heute.

Nach der Krebsdiagnose 2019 war alles aus dem Gleichgewicht geraten. Die Medikamente. Der Stoffwechsel. Die Müdigkeit. Die Wut. Ich wurde immer schwerer, träger, verlor das Gefühl für meinen Körper. Und irgendwann wusste ich: So geht es nicht weiter.

Es war kein leichter Weg. Ich habe den richtigen Arzt gefunden und angefangen, auf meinen Körper zu hören. Jedes Kilo, das verschwand, sagte mir: „Wenn ich das schaffe – dann kann ich auch anderes schaffen.“ Und dann, ganz langsam, veränderte sich etwas.
Nicht nur mein Gewicht. Sondern mein Vertrauen in mich.

Und dann war da dieses Kleidungsstück, das so lange gewartet hatte und es passte. Ich spürte auf einmal eine leise Freude. Und etwas wie Versöhnung – mit meinem Körper, mit der Zeit, mit mir. Es ist nicht nur mein Körper, der sich anders anfühlt. Ich habe mich verändert.
Es ist mein Blick. Mein Interesse. Meine Art, da zu sein.

Wenn ich ehrlich bin, habe ich keine Lust mehr, Menschen so zu porträtieren wie früher. Etwas in mir hat sich verschoben.

Früher ging es mir darum, andere sichtbar zu machen.
Jetzt frage ich mich: Was will ich selbst zeigen? Und was nicht mehr?

Ich möchte weiter in mein Archiv schauen. Ich bin nicht am Ende meines Weges als Fotografin, sondern an einem Punkt, an dem ich innehalten und zurückblicken möchte – um dann bewusst nach vorne zu schauen.

Ich möchte darüber sprechen.
Über meinen Weg als Fotografin.
Über das Sehen, das Altern, das Körperliche.
Über das, was gezeigt wird – und das, was bleibt.

Vielleicht ist dieser Rock mehr als nur ein Kleidungsstück. Vielleicht ist er ein stiller Zeuge meiner eigenen Transformation.
Und vielleicht passe ich mir selbst auch endlich wieder.

Und ich frage mich:
Was wird mir in einem Jahr passen – geistig, körperlich, künstlerisch?

Ich bin unterwegs.
Und das genügt.

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