Die Arbeit an meinem Archiv ist für mich gerade mehr als nur ein Prozess des Sortierens, Kategorisierens und Bewahrens. Es ist eine Begegnung mit meiner Vergangenheit, ein Blick in den Spiegel der Zeit, der sowohl vertraut als auch fremd wirkt. Doch was geschieht, wenn dieses Spiegelbild mehr Fragen als Antworten aufwirft? Wenn das Ordnen von Bildern, Notizen und Erinnerungen nicht nur Klarheit schafft, sondern auch eine leise Unruhe hinterlässt? So wie es bei mir gerade der Fall ist. Vielleicht ist es genau diese Konfusion, die der wahre Kern der Auseinandersetzung mit einem Archiv ist: eine Art existenzieller Dialog mit sich selbst.

 Da liegen sie, die Fragmente meines gelebten Lebens. Jedes Bild, jede Notiz, jede Erinnerung scheint zu flüstern: „Erinnerst du dich?“ Manche flüstern leise, andere schreien förmlich. Und während ich versuche, Ordnung in dieses Mosaik zu bringen, schiebt sich eine andere Frage unaufhaltsam in den Vordergrund: „Wie viel Zeit bleibt mir, um dieses Bild weiter zu vervollständigen?“ Das Archivieren wird plötzlich zu einer Übung in Vergänglichkeit, da der Prozess des Archivierens über das bloße Ordnen hinausgeht. Es entsteht eine tiefere, emotionale Dimension: Während ich Dokumente und Fotos bearbeite, bin ich mit der Tatsache konfrontiert, dass diese Gegenstände selbst altern und zerfallen können. Gleichzeitig erinnern sie mich daran, dass auch mein eigenes Leben begrenzt ist.Die Vergänglichkeit zeigt sich also in zwei Ebenen: in den Materialien des Archivs, die durch Zeit und Verfall geprägt sind, und in der persönlichen Erkenntnis, dass die Zeit, die mir bleibt, ebenfalls endlich ist. Das Archivieren wird so zu einem Nachdenken über das, was bleibt, und was mit der Zeit unweigerlich verloren geht. Es lädt mich ein, mich mit der Endlichkeit meines Lebens auseinanderzusetzen, aber auch zu überlegen, welche Spuren ich hinterlassen möchte.

Es ist ein sonderbarer Moment, in dem das Gewicht der Vergangenheit und die Leichtigkeit der Zukunft in einem empfindlichen Gleichgewicht stehen. Was ich vor mir sehe, ist nicht nur das eigene Leben, sondern auch eine Art Bilanz. Nicht im Sinne eines trockenen Rechnens, sondern in der Frage: „Was bleibt?

Vielleicht ist es genau das, was diese Konfusion auslöst. Denn während ich mich der Aufgabe widme, die Vergangenheit zu sortieren, meldet sich die Gegenwart mit Nachdruck: „Und was ist mit mir? Was ist mit dem Leben, das jetzt vor mir liegt?“ Es ist, als würden zwei Zeiten miteinander ringen – die Zeit, die war, und die Zeit, die noch ist. Sollte ich diese Konfusion nicht als Zeichen von Schwäche oder Unentschlossenheit sehen, sondern vielmehr als ein Zeichen von Leben? Denn das Leben ist keine gerade Linie, sondern ein Netzwerk aus Erinnerungen, Hoffnungen und Ängsten, die sich immer wieder neu verknüpfen. Die Arbeit am Archiv bringt diese Verknüpfungen ans Licht, lässt mich innehalten und vielleicht sogar umdenken. Sie fordert mich auf, das Vergangene nicht nur zu bewahren, sondern es im Licht des Jetzt neu zu betrachten. Die Frage, ob es das eigene Leben ist, das ich vor mir sehe, oder die Erkenntnis, dass die verbleibende Zeit begrenzt ist, bleibt dabei unbeantwortet. Vielleicht muss sie auch gar nicht beantwortet werden.

Denn in diesem Schwebezustand liegt eine besondere Art der Wahrheit – die Wahrheit, dass ich immer zwischen gestern und morgen balanciere, dass ich immer auf der Suche bin, ohne jemals ganz anzukommen. So wird die Arbeit am Archiv zu einer Einladung. Eine Einladung, nicht nur zurückzublicken, sondern auch nach vorn zu schauen. Nicht mit Angst vor der Endlichkeit, sondern mit Neugier auf das, was noch kommen kann. Und vielleicht, ganz vielleicht, finde ich in diesem Prozess nicht nur Ordnung in meinem Archiv, sondern auch ein wenig mehr Ordnung in mir selbst.

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