Gestern habe ich alte Fotos gefunden, Bilder von Menschen, die schon lange nicht mehr leben. Ihre Gesichter, ihre Gesten – eingefangen in einem Moment, der damals lebendig war und jetzt zur Vergangenheit gehört.

Danach habe ich in meinen alten Tagebüchern geblättert, einige waren schon 30 Jahre alt, voller Gedanken und Träume eines jungen Ichs, das noch dachte, die Welt läge vor ihm. Heute, so viele Jahre später, wirken diese Erinnerungen wie ein Spiegel. Sie zeigen mir, wie viel Zeit vergangen ist und wie schwer diese Erkenntnis manchmal auf mir liegt.

Seitdem lässt mich diese gedrückte Stimmung nicht los. Warum genau? Ist es die Vergänglichkeit, die mich trifft? Das Bewusstsein, dass die Zeit nicht anhält, egal, wie sehr ich mich bemühe, Momente festzuhalten? Vielleicht auch der Gedanke, dass weniger Zeit vor mir liegt, als hinter mir.
Vergänglichkeit ist ein seltsames Ding. Ich weiß, dass sie dazugehört, aber sie überrascht mich trotzdem immer wieder. Sie zeigt sich in den Jahresringen eines alten Baums, in den verblichenen Farben alter Fotos, in den Falten, die mit den Jahren in mein Gesicht treten. Aber wirklich bewusst wird sie mir oft erst in diesen besonderen Momenten, wenn ich innehalte und zurückblicke.
Was bleibt mir, wenn die Schwere der Vergänglichkeit über mich kommt? Vielleicht hilft es, sie anzunehmen, statt sie zu verdrängen. Diese Fotos, die Tagebücher – sie sind mehr als nur Erinnerungen. Sie sind Beweise für Verbindungen, für gelebtes Leben, für die Einzigartigkeit des Augenblicks. Und selbst wenn sie mir zeigen, wie sehr ich mich verändert habe, beweisen sie auch, wie sehr ich gelebt habe.
Wenn die Zeit begrenzt ist, macht sie jeden Moment wertvoll. Jedes Foto, das ich mache, jede Begegnung, die ich erlebe, bekommt eine Bedeutung, gerade weil es nicht ewig ist. Vielleicht geht es nicht darum, den Verlust zu fürchten, sondern die Fülle dessen zu feiern, was ich habe – jetzt, in diesem Moment.
Diese melancholische Schwere, die ich gerade spüre, ist vielleicht eine Einladung. Eine Einladung, nachzudenken: Was ist wirklich wichtig für mich? Was möchte ich noch tun, sagen, weitergeben? Und was bleibt von mir, wenn ich einmal nicht mehr da bin? Vielleicht sind es die Verbindungen, die ich schaffe, die Liebe, die ich gebe, und die Spuren, die ich hinterlasse – in Fotos, in Tagebüchern, in den Herzen der Menschen, die mich lieben.

Ja, Vergänglichkeit macht mich manchmal traurig. Aber sie erinnert mich auch daran, dass ich hier bin, dass ich lebe und ich gestalten kann. Und vielleicht liegt genau darin die Antwort: den Moment zu würdigen, zu lieben, was war, und zu leben, was ist.

 

Aber ich gebe zu, das ist leichter gesagt als getan. Gerade jetzt fällt es mir schwer, den Moment zu würdigen. Oft scheint die Vergangenheit so viel greifbarer. Doch jetzt, in dieser stillen, nachdenklichen Phase, fühlt es sich an, als würde ich gerade erst wach werden in meinem Leben. Als ob ich erst langsam begreife, dass das Jetzt, so unfassbar und unbeständig es auch sein mag, alles ist, was ich wirklich habe.
Es ist, als müsste ich mich an das Leben im Moment erst gewöhnen, als müsste ich die Wucht der Gegenwart annehmen, bevor ich sie lieben kann. Und vielleicht ist genau das der Punkt: Es geht nicht darum, die Vergangenheit loszulassen oder die Zukunft zu ignorieren. Es geht darum, mich selbst in dieser Zwischenzeit zu finden. Zeit, die Schwere zu fühlen, die Gedanken ziehen zu lassen und mich kleinen Schritten hinzugeben. Heute fällt es mir schwer, den Moment zu lieben – und das ist in Ordnung. Vielleicht gelingt es mir morgen ein kleines bisschen besser.

 

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