Beim Wachwerden verspüre ich den Impuls, etwas zu meinen Begegnungen mit den Männern zu schreiben, die sich für mein aktuelles Portraitprojekt gemeldet haben. Vor dem Treffen für das Shooting findet ja das Podcastgespräch statt. Manchmal kenne ich sie auch via Foto auf Instagram. Sodass ich sagen kann, ich habe ein »Bild« von Ihnen. Ja, dachte ich. Doch ich muss feststellen, dass, wenn sie mir dann real gegenüberstehen, ist mein Eindruck von Ihnen ein anderer. Hinzu kommt, und das ist bedeutungsvoll, lassen die Begegnungen, und sei es erst einmal nur virtuell, alle meine Stereotypen, die ich zu Männern im Kopf hatte, platzen.

Es ist doch so, wenn mein Gehirn mit einer neuen Situation konfrontiert wird, kann es auf Stereotypen zurückgreifen, um schnell eine erste Einschätzung oder Interpretation vorzunehmen. Dieser Mechanismus kann besonders in Situationen nützlich sein, in denen schnelles Denken und Handeln erforderlich sind. Stereotypen helfen dem Gehirn, Informationen schneller zu verarbeiten, da sie vereinfachte, vorgefertigte Annahmen über bestimmte Gruppen oder Situationen darstellen. Doch was genau sind diese Stereotypen?
Stereotypen sind das Ergebnis von kulturellen Prägungen und Erfahrungen. Diese Prägung umfasst die Sprache, Traditionen und allgemeine Verhaltensweisen und, nicht zu vergessen, den technologischen Fortschritt, hier, in dem Land, in dem ich sozialisiert wurde und ich frage mich: Was ist meine kulturelle Prägung hinsichtlich Männern? Wie wurde ich als Frau im Hinblick auf Geschlechterrollen, Familienstrukturen und soziale Erwartungen geprägt? Meine Jugend fiel in die 1960er und 1970er Jahre. Die gesellschaftlichen Normen und kulturellen Veränderungen dieser Zeit haben mich ebenso geprägt wie die Veränderungen in den Geschlechterrollen und der Rolle der Frau in der Gesellschaft. Dann meine Bildung und mein Beruf sowie die Männer, denen ich bisher begegnet bin, haben meine Denkweisen geformt. Gesellschaftlichen Tabus haben sich verändert und nicht zuletzt die Erfahrungen, die ich ganz persönlich mit Männern gemacht habe. Die Tatsache, dass ich schon seit einigen Jahren allein lebe, bringt mit sich, dass ich weniger direkte Interaktionen mit Männern hattet. Das hat meine Wahrnehmung und mein Verständnis von Männern beeinflusst, das ist mal sicher.

Das alles ist der Hintergrund, vor dem das Platzen meiner Stereotypen eingetreten ist, was eine enorme Verwirrung in meinem Kopf und meiner Gefühlswelt ausgelöst hat. Damit muss ich nun klarkommen. Es ist nicht besorgniserregend, da ich ja immer offen bin für neue Erfahrungen und bereit bin meine Meinung zu korrigieren. Ich darf auch nicht vergessen, dass einige meine Meinungen über Männer ihren Ursprung in meinen schmerzhaften Erfahrungen mit dieser Spezies haben. Grundsätzlich jedoch habe ich nichts gegen Männer, die mir respektvoll begegnen, was alle bisher getan haben. Es waren somit bereichernde Begegnungen und interessante Gespräche.

Die Männer, die ich im Kontext des Portraitprojektes bisher getroffen habe, waren alle jünger als ich, oft mehrere Generationen. Sie haben mich überrascht, alle. Gestern z. B. hat Gero, ein 15-jähriger seinen Vater begleitet, um sein Geburtstagsgeschenk einzulösen, einen Bungee Jump. Ich weiß nicht, was sich Jungs bei so einem Wunsch denken, geschweige denn, warum sie 200 Meter tief springen wollen, doch Gero war interessant. Und nun bin ich noch gespannter darauf, wie meine Enkelkinder sein werden, wenn sie in diesem Alter sind.

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