Verrückt – total verrückt: Ich werde meine Autobiografie schreiben.

Der Gedanke kam mir bei den Überlegungen zu einem Werkverzeichnis. Seit 60 Jahren bin ich Fotografin, und es ist an der Zeit, Entscheidungen zu meinem fotografischen Nachlass zu treffen, denn ich möchte sicherstellen, dass mein Lebenswerk, so hat es neulich jemand bezeichnet, nach meinem Tod nicht einfach verschwindet.

Der Begriff Lebenswerk wirkt auf mich immer noch einschüchternd, als ginge es um etwas Monumentales und Endgültiges. Aber das muss es nicht sein. Es geht vielmehr um die Momente, Projekte und Entscheidungen, die mich als Fotografin und Mensch geprägt haben. Kein starres Monument, sondern ein sich ständig weiterentwickelndes Puzzle, das mit jedem gefundenen Foto, jeder neuen Erinnerung eine weitere Facette enthüllt. Ich möchte nicht das Gewicht des Vergangenen spüren, sondern den Reichtum dessen, was ich erschaffen habe – ein lebendiger Ausdruck meiner kreativen Reise.

Fotografien sind Zeugnisse jeder meiner Lebensphasen und in je einem winzigen Augenblick konzentrierte Geschichten, und sie erzählen von der sichtbaren Welt und geben zugleich über die Fotografin, also mich, Auskunft. Vor allem meine analogen Fotografien sind Zeugnisse von Erinnerungen an Brüche und Verletzungen, aber auch an Standfestigkeit und Mut.

Ich denke jetzt schon ein paar Wochen über ein Werkverzeichnis nach und in einem Gespräch wurde mir auch vermittelt, dass es wichtig sei, die Geschichten, die im Kontext der Aufnahmen stehen, aufzuschreiben. Warum dann nicht gleich eine Autobiografie schreiben?

 

Anfangen werde ich damit, mein Positiv- und Negativ-Archiv zu katalogisieren. Mein analoges Archiv ist ziemlich umfangreich, und in den letzten Jahren habe ich auch digital gearbeitet, somit gibt es zahlreiche Read-Laufwerke voll mit Dateien – mit anderen Worten:

Es ist eine Herausforderung.

Ich muss also in mein Archiv „einsteigen“ und somit in meine Vergangenheit, in mein Leben. Als ich im 2019/2020 an meiner ersten Retrospektive gearbeitet habe, war das auch notwendig, und ich erinnere mich daran, dass dies nicht einfach für mich gewesen ist. Geplant war die Eröffnung der Ausstellung an meinem 70. Geburtstag. Doch alles kam anders, denn wir hatten Corona und alles wurde nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Doch zurück dazu, wie es überhaupt dazu kam.

2019 öffnete ich einen der vielen Kartons in einem Regal, der dort seit meinem Einzug in diese Wohnung,1989, stand und langsam zustaubte und entdeckte darin eine Fotografie, die mich augenblicklich in die Zeit zurückversetzte, in der sie entstanden war. Ich öffnete etliche weitere Kartons und Mappen meines Positiv-Archivs, nicht ahnend, was sich dort für Schätze finden und was das mit mir machen würde. Das erste Foto, das ich fand, war ein Selbstportrait. Diese Begegnung mit einer wesentlich jüngeren Version von mir selbst aus längst vergangener Zeit machte mich sprachlos. Augenblicklich erinnerte ich mich an den Moment, in dem das Foto entstanden war: Ich saß am Küchentisch meiner damaligen Wohnung, auf der Bankstraße in Düsseldorf, vor mir auf dem Tisch lagen Spiralen aus einer JOBO Entwicklungsdose. Plötzlich war es so, als ob all die Emotionen und Erinnerungen dieser Zeit wieder da waren. Rückblickend bin ich immer noch tief beeindruckt, welche Erinnerungskraft von einem Foto ausgehen kann.
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