In Wülfrath bin ich geboren.
Am 16. Januar 2022 wurde meine Ausstellung in Wülfrath eröffnet. Sie bestand aus Teilen meiner Retrospektive, die 2020 an meinem 70. Geburtstag erstmals gezeigt werden sollte, was Corona sabotierte. Sie wurde dann im Oktober 2020 unter erschwerten Bedingungen doch noch präsentiert. Und dann 2022 auch in Wülfrath.
Und so kam ich rd. 50 Jahre nach meinem Wegzug aus Wülfrath, mit dieser Ausstellung zurück in meine Geburtsstadt und mir wurde bewusst, dass ich diese Stadt nicht mehr kenne. Und so entstand die Idee zu einem Projekt:
Frauen in Wülfrath.
Der Anteil der Frauen an der Bevölkerung dieser Stadt im Niederbergischen Land liegt über 50 %. In Zahlen sind das über 10.000 Frauen. Ich habe in der Vergangenheit schon öfter Frauen zum Thema eines Projektes gemacht. Für mich sind Frauen ein repräsentativer Querschnitt einer Gesellschaft, eines Ortes, eines Landes. Schon bei meinem Projekt „Bestandteil – Stück vom Ganzen“. Frauen in Chemnitz verfolgte ich diesen Ansatz. Warum das nicht auch mit Wülfrath so angehen? Mit anderen Worten: Ich fand die Idee gut.
Ich wollte die Frauen in dieser Stadt feiern, ihre Schönheit und ihre Kraft, ihre Leidenschaft und ihre Kreativität. Wollte ihre Geschichten erzählen, von ihren Träumen, ihren Hoffnungen und ihren Freuden. Ich wollte ihnen eine Bühne geben, auf der sie strahlen und sich zeigen konnten.
Da meine Familie, die in der Stadt lebte, inzwischen verstorben ist, hatte ich keine persönlichen Kontakte mehr in die Stadt, war also auf Unterstützung angewiesen. Ich habe versucht, Kontakte zu knüpfen, Partnerinnen zu gewinnen, doch es war schwierig und mühsam, wie ein Berg, den man erklimmen muss.
Vielleicht war meine Idee für sie fremd oder uninteressant. Ich weiß es nicht. Das führte dazu, dass es schwierig war, an interessierte Frauen heranzukommen, die Teil meines Projekts werden konnten. So hatte ich immer öfter das Gefühl, dass meine Idee nicht auf wirkliche Gegenliebe gestoßen ist oder es in Wülfrath kein Interesse an einem solchen Projekt gibt. Als ich dann entdeckte, dass ein Neujahrsempfang des Netzwerks Wülfrather Frauen stattgefunden hatte und ich nicht eingeladen war, hatte ich es verstanden. Anfang 2023 habe ich schweren Herzens beschlossen, es nicht weiterzuführen.
In meiner Karriere als Fotografin ist dies das zweite Mal, dass ich ein Projekt abbreche. Da ich bereits Frauen fotografiert und auch Gespräche geführt hatte, habe ich mich entschlossen, einiges davon hier zu publizieren. Außerdem habe ich eine Art Tagebuch geführt und beschrieben, wie es mir ergangen ist bei meinen Treffen in Wülfrath.
Wülfrath ist für mich ein Synonym für Erinnerungen an die ersten 21 Jahre meines Lebens. Im Winter z.B. gab es Schlittenfahrten auf der Parkstraße. Einer Straße, die von der Goethestraße, dort bin ich aufgewachsen, nicht weit entfernt ist. Zum Ende des Sommers gab es eine Kirmes. Dann das Schwimmbad. Ich habe dort Schwimmen gelernt und in den Sommern meiner Kindheit die Nachmittage verbracht. Als ich in der Ausbildung war, sind meine Schwester und ich zusammen mit unserer Mutter zum sogenannten Frühschwimmen dort gewesen.
Meine Schwester Roswitha und ich
Oder das Parktheater, einem sehr repräsentativen Ort für Kultur. Wir wohnten gleich gegenüber auf der Goethestraße. Es gab dort nicht nur Kino-, sondern auch Theateraufführungen. Bei einer solchen Aufführung, etwa 1964, habe ich dort die Schauspieler:Innen Gustav Knuth und Inge Meysel fotografiert. Später ist dort ein Supermarkt eingezogen.
Weitere Erinnerungen habe ich an die ev. Kirche, in der ich konfirmiert wurde oder an Schwester Dora, eine Ordensschwester, sie war meine Kindergärtnerin. Ich bin in die Parkschule gegangen, 8 Jahre lang. Frau Prisack, war meine Turnlehrerin, Herr Aulich mein Klassenlehrer und Herr Schmitten war Rektor der Schule und zeitweise auch mein Klassenlehrer. Heidi, Ruth, Martina, Annelie und Gisela meine Schulfreundinnen.
In meiner Erinnerung erscheint das Schützenfest in Wülfrath wie ein prächtiges Fest, das jedes Jahr die Menschen der Stadt vereinte. Es war eine Zeit des Feierns, die jedes Jahr mit der Parade der Schützen begann. Ich erinnere mich daran, wie die Schützen sich auf der Goethestraße aufstellten, wo ich 21 Jahre lang gelebt hatte. Es war ein Tag, den meine Mutter nie verpasste. Sie nahm ein Kissen und legte es ins offene Fenster, damit sie das Spektakel bequem beobachten konnte.
In jener Zeit hatte ich einen treuen Freund: meinen Kanarienvogel Hansi.
An Sonntagnachmittagen besuchte ich das alte Tonfilmtheater, wo extra für Kinder Filme gezeigt wurden. Ich erinnere mich besonders gerne an die Abenteuer von „Dick & Doof“, die mich zum Lachen brachten und meine Fantasie beflügelten. Und wenn ich Lust auf Süßigkeiten hatte, ging ich zu Frau Kühlchen auf der Wilhelmstraße. Dort gab es eine unfassbar große Auswahl an köstlichen Leckereien.
Diese Erinnerungen sind für mich wie ein kostbares Juwel, das ich in meinem Herzen aufbewahre und immer wieder gerne hervorhole, um mich an meine Kindheit in Wülfrath zu erinnern.
Meine erste eigene Kamera, eine gebrauchte, zweiäugige Rolleiflex – ich habe sie heute noch und diese Kamera ist ebenso alt wie ich – hat mir meine Mutter zu Beginn meiner Ausbildung gekauft. Angeboten wurde sie in der Drogerie Schörken. In dieser Drogerie gab es in der 1. Etage auch ein Fotoatelier. Meine Großmutter, die Mutter meiner Mutter, ist mit ihren Kindern, meiner Mutter und ihren Brüdern, dort hingegangen, um sie fotografieren zu lassen.
Viele Jahre später, als die Inhaber die Drogerie aufgaben, habe ich eine alte Trockenpresse, auf der Papierabzüge getrocknet werden konnten, übernommen. Sie hat mir viele Jahre gute Dienste geleistet. Zu diesem Zeitpunkt war ich schon ausgebildete Fotografin, habe freiberuflich gearbeitet und lebte in Düsseldorf.
Ich bin nicht mehr die 21-jährige junge Fotografin, die aus Wülfrath weggezogen ist. Ich habe mich als Fotografin und als Mensch entwickelt. Was verbindet mich nach so langer Zeit noch mit dieser Stadt?
Ist sie mir noch Heimat? Was ist Heimat für mich?
Januar 2022
Ich knüpfte Kontakte und füllte eine Liste mit Namen. Dabei lernte ich auch das Netzwerk der Wülfrather Frauen kennen und bin beeindruckt von der Vielfalt und Stärke dieser Gemeinschaft. Durch diverse Artikel in Tageszeitungen und Internetplattformen, sowie ein Podcastinterview, in dem ich von meinem Projekt erzählte, erhielt meine Idee die Aufmerksamkeit, die ich mir wünschte. Frauen in Wülfrath erfuhren von meinem Interesse an ihnen und ihrem Leben, was mir ermöglichte, weitere Kontakte zu knüpfen.
Ich bin Portraitfotografin in Düsseldorf und habe mich in den vergangenen Jahren auf dieses Sujet spezialisiert. Doch nun habe ich beschlossen, mich auf ein neues Abenteuer einzulassen und außerhalb meines Studios zu arbeiten. Ich war aufgeregt und hatte das Gefühl, Lampenfieber zu haben. Während meiner Zeit als Reportagefotografin war ich es gewohnt, an verschiedenen Orten zu arbeiten und verschiedene Menschen zu treffen. Doch als Portraitfotografin hatte ich mich in meinem Studio eingerichtet und fühlte mich dort sehr wohl. Ich wusste nicht, was mich in Wülfrath erwarten, welche Orte ich besuche und wie die Frauen sein würden. Die vielen Unbekannten machten mich leicht nervös. Aber ich war bereit für diese neue Erfahrung.
Am Tag vor meinem ersten Termin spürte ich bereits eine große Aufregung in mir aufsteigen. Am Morgen des 25. Januars war ich bereits um 6 Uhr wach, obwohl ich erst um 10 Uhr verabredet war. Ich nahm mir Zeit, den Tag in Ruhe zu beginnen. Schließlich machte ich mich auf den Weg nach Wülfrath. Ich wusste, dass diese neue Erfahrung mein Leben als Fotografin bereichern würde und dass es sich lohnte, aus meiner Komfortzone auszubrechen und sich neuen Herausforderungen zu stellen. Denn nur so kann ich mich als Fotografin weiterentwickeln und wachsen.