Anfang dieses Jahres habe ich mit einem Workshop zum Thema
Embodiment bei der großartigen
Kathrin Borghoff begonnen, der direkt spürbare Veränderungen in meinem Alltag bewirkt hat.
Was ist Embodiment?
Der Begriff „Embodiment“ verweist auf die enge Verflechtung von Körper und Geist. Es bedeutet „Verkörperung“ und betont, dass menschliches Denken, Fühlen und Handeln untrennbar mit der physischen Erfahrung des Körpers verbunden ist. Unser Bewusstsein ist nicht auf das Gehirn beschränkt – es breitet sich über den gesamten Körper aus. Körperliche Empfindungen beeinflussen unsere Gedanken und Emotionen. Zum Beispiel zeigt die Embodiment-Theorie, dass Gefühle wie Angst oder Freude körperlich spürbar sind: der Herzschlag beschleunigt sich, die Hände schwitzen. Diese Reaktionen sind keine Nebenprodukte, sondern beeinflussen, wie wir denken und handeln.
Maurice Merleau-Ponty ein Philosoph des 20. Jahrhunderts hat in seinem Werk „Phänomenologie der Wahrnehmung“ darauf hingewiesen, dass unser Körper als Vermittler unserer Weltwahrnehmung fungiert. Wenn wir z. B. einen Hammer halten, empfinden wir ihn nicht als Fremdkörper, sondern als Verlängerung unseres eigenen Körpers. Embodiment verdeutlicht, dass unsere Wahrnehmung der Welt immer durch den Körper geformt wird. Diese Idee unterstreicht, dass der Körper aktiv an unseren Erkenntnisprozessen beteiligt ist.
Unser Körper spielt auch in sozialen Interaktionen eine Schlüsselrolle. Wir kommunizieren oft mehr durch Gestik, Mimik und Körperhaltung als durch Worte. Soziale Normen und kulturelle Praktiken beeinflussen zudem, wie wir unseren Körper erleben. Embodiment zeigt, dass der Körper nicht nur ein biologisches Phänomen ist, sondern auch ein soziales Konstrukt.
Mit dem Thema Embodiment wurde mir auch bewusst, wie erschöpft ich eigentlich bin. Lange habe ich diese Erschöpfung verdrängt. Eine innere Stimme flüsterte mir immer wieder ein, dass alles, was ich fühle oder tue, falsch sei. Somit setzten sofort Mechanismen ein, die diesen Eindruck, diese Erkenntnis, dass ich erschöpft bin, verdrängten. Trotzdem habe ich es geschafft, mich zu einem weiteren Workshop anzumelden: “Erschöpfung verstehen – Wie Sensitivität und Trauma deine Energie sabotieren!”.
Seitdem fährt meine Gefühlswelt mit mir Schlitten.
So langsam begreife ich immer mehr und was mich besonders verblüfft; ich nehme meine Erschöpfung wahr, kann sie spüren und mir erlauben. Verstärkt hat das die
Diagnose Schlafapnoe. Denn die führt dazu, dass ich tagsüber immer erschöpft bin. Meine Seele ging wohl davon aus, dass es dieser “
Verstärkung” bedarf, damit ich es endlich kapiere und einsehe und mich entsprechend verhalte. Und ja, in den letzten Wochen und wahrscheinlich schon Monaten habe ich dagegen angekämpft, habe es für Disziplinlosigkeit gehalten, wenn ich mir tagelang nur TVSerien angesehen habe. Doch nun bin ich an einem Punkt, an dem ich aufhöre, mich anzulügen:
Ich bin komplett erschöpft und das wohl nicht erst seit diesem Jahr.
Heute vor 5 Jahren bekam ich die Diagnose “Es ist Krebs“. Und ich kann sagen, dass ich das zu keinem Zeitpunkt wirklich verarbeitet habe. Ich erinnere mich daran, dass ich seit diesem Zeitpunkt das Vertrauen in meinen Körper und auch in mich ziemlich verloren hatte, denn egal was ich tat, ändern konnte ich nichts.
Vor 10 Jahren habe ich auf FB geschrieben, dass ich die menschliche Entsprechung der Bezeichnung “Erschöpfung” sei. Und ich erinnere mich gut daran, dass ich so erschöpft war, dass meine Zähne anfingen zu klappern. Dies ist eine Stressreaktion des Körpers: Wenn du körperlich oder mental überlastet bist, löst der Körper eine Stressreaktion aus. Dabei werden Stresshormone wie Adrenalin und Cortisol freigesetzt, die den Körper in einen Alarmzustand versetzen. Zittern, Muskelverspannungen und Zähneklappern sind typische Symptome von Stress und Überlastung.
Die Eröffnung meines Portraitstudios 2011 war die Möglichkeit, mein ganzes Potenzial zu entfalten, doch eben auch eine vollkommene Überforderung ganz ohne hilfreiche Strategien. Darum nun:
totale Erschöpfung. Und damit ich es endlich begreife:
Schlafapnoe.
Schauen wir doch mal in meine Biografie.
Meine Mutter hätte wohl lieber einen Sohn gehabt, denn eine Tochter hatte sie schon. So konnte ich von Beginn an nichts wirklich richtig machen. Als ich etwa 50 Jahre alt war, hatte ich einen Zusammenbruch und war anschließend einige Jahre lang schwer depressiv. In der dann stattgefundenen Therapie habe ich mich unter EMDR an einen frühkindlichen Missbrauch erinnert. Dieser hat wohl zu einer Zeit stattgefunden, in der ich noch keine Sprache hatte. Daher wurde dieses erlebte Trauma tief vergraben und konnte seine toxische Wirkung über Jahre entfalten.
EMDR (Eye Movement Desensitization and Reprocessing) ist eine spezielle Therapieform, die vor allem bei der Behandlung von posttraumatischen Belastungsstörungen (PTBS) eingesetzt wird. Sie wurde von der Psychologin Francine Shapiro in den späten 1980er Jahren entwickelt und basiert auf der Idee, dass unser Gehirn die Fähigkeit hat, traumatische Erlebnisse zu verarbeiten und zu heilen, ähnlich wie der Körper eine körperliche Wunde heilen kann. Der Kern von EMDR besteht darin, dass die Patient:innen dazu aufgefordert werden, an das traumatische Ereignis zu denken, während gleichzeitig Augenbewegungen ausgeführt werden. Diese bilateralen Stimulationen (also Reize, die abwechselnd auf beide Körperseiten wirken) scheinen dem Gehirn zu helfen, die belastenden Erinnerungen zu verarbeiten und weniger emotional belastend zu machen. EMDR scheint dem Gehirn zu helfen, Erinnerungen anders zu speichern, sodass sie nicht mehr so belastend sind. Es wird vermutet, dass die bilaterale Stimulation den Mechanismus im Gehirn aktiviert, der für die Verarbeitung von Erinnerungen verantwortlich ist, ähnlich wie das während des Schlafs (insbesondere in der REM-Phase) geschieht, wenn Augenbewegungen auftreten und das Gehirn Erlebnisse verarbeitet. EMDR wird von vielen Psychologen und Therapeutinnen als wirksame Methode angesehen, um traumatische Erlebnisse zu verarbeiten. Sie wird nicht nur bei PTBS, sondern auch bei Ängsten, Phobien und anderen emotionalen Problemen eingesetzt.
Als Kind war ich groß gewachsen und wurde immer für älter gehalten, als ich war. Mein Schulalltag begann im März 1956; im Juni wurde ich dann 6 Jahre alt. Dass ich Legasthenikerin war, wurde mir erst 50 Jahre später bewusst. Doch aufgrund dieser Lese-Rechtschreibschwäche wurde ich von meiner Umwelt für dumm gehalten und meine Schulausbildung war nach 8 Jahren 1964 zu Ende. Ich durfte dann eine handwerkliche Ausbildung zur Fotografin beginnen. Was ich noch nie bedauert habe.
Meine größte Ressource war wohl, dass ich immer mehr wollte, doch was genau dieses “mehr” war, das war mir nicht bewusst. Fast genau 20 Jahre nach meinem Gesellenbrief als Fotografin konnte ich an der Universität in Essen studieren: Kommunikationsdesign mit dem Schwerpunkt Fotografie. Nun bin ich Akademikerin und meiner Ursprungsfamilie in vielerlei Hinsicht entwachsen.
Ich war alleinerziehende Mutter und freiberufliche Fotografin, da ich mich von dem Vater meiner 1977 geborenen Tochter getrennt hatte. Jetzt war ich alleinerziehend – so nannte sich das damals, heute sagen wir allein begleitend, Studentin und freiberufliche Fotojournalistin. Ich weiß nicht, wie ich es geschafft habe, meinen Abschluss zu machen. Ich erinnere mich, dass vieles in meinem Alltag Kampf war. Ja, diese Jahre waren angefüllt mit verschiedensten Kämpfen. Die Fähigkeit, diese zu führen, ist wohl auch eine Ressource von mir.
Nach meinem Studium nahm ich eine Festanstellung im Öffentlichen Dienst an, weil ich die Hoffnung hatte, dass dies meine Altersversorgung sein könnte. Ich habe es wirklich versäumt, eine vernünftige Vorsorge für mein Alter zu schaffen, was jetzt für eine Überforderung sorgt, denn die Jahre als Angestellte im Öffentlichen Dienst haben aufgrund einer Gesetzesänderung leider auch daran nichts geändert.
Ich hatte immer den Traum, ein Portraitstudio zu eröffnen, was ich dann 2011 auch realisierte. Wie zuvor erwähnt, konnte ich da mein Potenzial entwickeln und habe nicht gemerkt, welche Überforderung das war.
Inzwischen habe ich als Fotografin mehrere Auszeichnungen erhalten, Preise gewonnen, Ausstellungen gehabt und Fotobücher herausgebracht. Ich blicke auf ein volles Leben zurück, in dem ich nicht nur gekämpft habe, sondern auch glücklich war. Doch ob ich immer das getan habe, was ich wirklich wollte, weiß ich nicht zu sagen.
Ich habe seit einigen Jahren einen
Podcast und eine Fangemeinde bei Instagram und FB, die mich wirklich liebevoll supporten. Ich lebe seit einigen Jahren allein, was mich nicht unglücklich macht. Meine zwei wunderbare Enkelkinder sind meine große Liebe. 18 Jahre lang hatte ich Hunde, was auch eine Bereicherung für mein Leben war. Momentan denke ich daran, mein fotografisches Archiv, das in 60 Jahren entstanden ist, aufzubereiten, worauf ich mich wirklich freue.
Sicher, da sind und waren zahlreiche Krankheiten und neulich habe ich festgestellt, dass ich darüber inzwischen genauso lange referieren kann wie über die Fotografie, die immer noch einen großen Bereich in meinem Leben einnimmt und auch eine Ressource ist, aus der ich viel Kraft schöpfe.
Ich spüre, dass ich immer noch mehr will, als ich im Moment stemmen kann, also muss ich lernen, dass es Grenzen gibt und das TV Serien anschauen keine Disziplinlosigkeit, sondern im Moment genau das Richtige ist.
Es ist okay, erschöpft zu sein und sich Pausen zu gönnen. Diese Einsicht fällt mir schwer, aber sie ist notwendig. Ich bin erschöpft, und das ist keine Schwäche, sondern ein Signal, auf das ich hören muss.